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Band 1 |
Zu Ittmanns Werken
Band 2 |
Geistiger Volksbesitz
Einleitung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Band 3 |
Religion im v. Kamerun

Inhalt Kapitel 1

I. Teil: Der Mensch Mensch – ein Leib Leib

I. Teil: Der Mensch Mensch – ein Leib Leib

Allgemeines

Auf dem Fako, dem oberen, unbewaldeten Teil des Kamerunberges, soll nach dem Glauben der umwohnenden Stämme ein Dämon hausen, Epas’a moto Halbmensch Halbmensch „Halbmensch“ genannt. Er besteht nämlich nur aus einer menschlichen Hälfte mit einem Auge, einem Ohr, einer Wange, einem Arm, einer Brustwarze, einem Bein. Dennoch kann er gehen und arbeiten, denn die andere Hälfte ist zwar auch vorhanden, nur kann sie vom gewöhnlichen Menschen in dieser Sinnenwelt nicht wahrgenommen werden; sie ist unsichtbar, denn sie gehört der unsinnlichen Welt an. In ganz Bantu-Afrika scheint man eine solche Halbmensch-Gestalt zu kennen. Sie ist Sinnbild der Zweiheit in der Einheit, die der Bantu glaubt: Es hat alles zwei Seiten, eine körperliche und eine seelisch-geistige; eine zugewendet der Sinnenwelt, die andere der unsichtbaren Welt; darum steht neben realer Handlung die Magie; Vorgänge in der übersinnlichen Welt zeigen sich in der Menschenwelt an, wie nganga1 der „Magier“ durch Handlungen in unserer Sphäre Wirkungen in jener anderen Sphäre hervorbringt.

So ist auch die Einheit „Mensch“ ein Leib-Geistwesen, denn im Normalzustand besteht sein Körper aus der eyobo „Hülle“, in der, sie ganz ausfüllend, mudi „die Lebensseele“ webt. Sie ist der eigentliche Träger des Lebens. Ohne diese Lebensseele ist der Mensch in einem Gefahrenzustand, ist er ein Raub des Todes, selbst wenn ein gewöhnlicher Mensch nicht oder noch nicht merken kann, daß „die Hülle leer“, der Leib seelenlos geworden ist. Doch handelt erst der folgende Teil von den menschlichen Seelenkräften ausführlich. Wir reden jetzt vom Leibe als der Hülle der Lebensseele, die mehr auf ihn wirkt als umgekehrt, an dem aber doch allerlei vorzunehmen ist, um die Lebensseele sicher zu stellen.

Was denkt nun der Kameruner über seine leibliche Existenzform, die seine Lebensseele an die Sichtbarkeit bindet?

Der Kameruner hängt an seinem Leibesleben so sehr, daß er auch die Weiterexistenz als edimo edimo „Schattengeist, -seele“, vgl. auf S. 39, nur körperlich denken kann. Die mundi ma bedimo „Schattensiedlung, der Hades Hades“, vgl. S. 128, ist ihm nur ein schattenhafter Abklatsch der Diesseitigkeit. Davon ist der einzelne „Schatten“ ein Teil. Darum ist dem Kameruner dieses Leben kein Leiden im Sinne buddhistischen Pessimismus, noch das Jenseits ein Nirwana des ewigen Vergessens. Sinnenfreudig steht er dem Leibesleben gegenüber; seine Sorge ist, im Jenseits nicht zu vergessen und nicht vergessen zu werden. Er ist nicht Idealist genug, um den Körper nur als Kerker der schönen Seele zu betrachten, noch ist er Materialist, der nur sein will, was er sieht, und die Seele leugnet und damit auch die Verantwortung für sein Tun. Er kennt nur eine Wechselwirkung zwischen beiden: Töte den Leib, so geht die Lebensseele zugrunde, aber mehr noch schädige die Seele, und der Leib leidet. So pflegt man auch die Seele, indem man des Leibes, der Seele Hülle, wartet.

Diese Lebensseele ist vergänglich mindestens in dem Sinn, daß sie beim Ausscheiden aus dem Körper im Tod mit der Persönlichkeit ihres seitherigen Trägers nicht mehr verbunden ist. Anders ist es mit edimo „der Schatten-, Körperseele, vgl. auch edimo Schattenseele“, die für den Kameruner erst mit dem Tod existenzhaft wird. Auf wielange weiß man nicht; mindestens solange, als auf Erden dieser Schattenseele gedacht wird. Darum die Sorge, daß man mindestens einen Sohn hinterläßt, der die Pflege des Ahnenkults garantiert. Der allgemeine Aufenthaltsort der „Schatten“ ist zwar die Unterwelt, der Hades, aber in Verkehr mit dem einzelnen Schatten tritt {2} man am Grab Grabe, wo der Schädel Schädel des Ahnen ruht; bei einzelnen Stämmen beim in einer Rindenschachtel aufbewahrten Schädel; bei anderen Stämmen sind Gebräuche lebendig, die nur als Ausklang des Schädelkultes gedeutet werden können. So bejaht der Kameruner seine Leiblichkeit ohne Materialist zu sein. Denn nicht nur sein Leib Leib als Ganzes ist beseelt, sondern auch der einzelne Teil, dessen Namen vielfach der dritten Nominalklasse (Benennungen für Beseeltes, vgl. S. 96) angehört; besonders enthalten auch die Wachstumsstoffe Wachstums- und Abfallstoffe des Körpers, z. B. Haar, Nägel, Haut, Kot, Urin, Speichel, Blut Blut, Muttermilch, Schweiß (auch der in den Kleidern), Körperwärme, Fußabdrücke, u. a. etwas Lebensseele. Losgelöst vom Eigentümer kann es als ein Stück seiner Lebensseele enthaltend zu seinem Nachteil verwendet werden. Schon aus Rücksicht auf solches „Zubehör“, das sich vom Körper lösen und von einem anderen angeeignet werden kann, muß sich der Kameruner in Zucht nehmen entsprechend der Ordnung, die ihm der Sippenverband zur Bewahrung seines Leibeslebens überliefert und vorschreibt. Das gilt bezüglich Speisen und anderem, das gelegentlich zu meiden ist, wie für die Regelung des sexuellen Lebens. Beim Übertritt von einem Lebensstand in den anderen sind besondere Riten zu beachten; so Gebräuche bei der Geburt, die bei Eintritt der Reife nötige Beschneidung, Zahnverstümmelung, Tätowierung, Riten bei Verlobung, Eheschluß, Tod eines Familiengliedes. Sie alle zeigen, daß der primitive Kameruner nicht willkürlich handeln kann, sondern daß ihm sein Lebensverband Zucht und Gesetz gibt, wie er sein Leben und damit auch an seinem Teil das der Gruppe zu gestalten und zu ordnen hat.

A. Geburt Geburt und Tod: Anfang und Ende des Menschenlebens

Wir können nicht alle bei Geburt und Tod eines Familiengliedes in den Stämmen üblichen Gebräuche schildern. Einige Beispiele sollen einen Einblick in die Vorstellungswelt der Kameruner von ihrer Leiblichkeit geben. Sie werden zeigen:

wie das Erlebnis eines einzelnen das Kollektiv berührt;

wie die Überlieferung alle Riten bis ins kleine und einzelne vorschreibt;

wie für den menschlichen Leib Pflanzen- und Tierwelt nötig ist,

ja die ganze Natur, von der er ja nur ein Teil ist;

wie symbolischen Handlungen eine mystische Kraft beigelegt wird; wie die Zahl (besonders „neun“, vgl. [Note] S. 47) eine Rolle spielt, wie Ablegen und Anlegen von Kleidung geregelt ist; wie Sühne und innerliche Reinigung durch Waschungen und Reinigung des Körpers (Scheren) symbolisiert, ja bewirkt wird.

1. Geburtsgebräuche bei den Bakosi

a. normale Geburt

[handschriftlicher Vermerk: fehlt zunächst. Hier dürfte Ittmann eine Zusammenfassung seines Artikels „Das Leben eines Kosi-Kindes in den ersten zwei Wochen“ aus der Zeitschrift für Eingeborenen-Sprachen, Band XX, 1929/30, S. 256– 82 geplant haben]

{3}

Geburt (Bakundi)

Den ersten Ausgang macht die erstmalige Wöchnerin zusammen mit Altersgenossinnen und älteren Frauen aus der Verwandtschaft auf das Feld. Sie haut eine reife Pisangtraube ab und trägt sie, begleitet von ihren Genossinnen ins Dorf, wo sie in jedes Haus einkehrt und wo die Hausgenossen (weibliche) einen Pisangfinger abbrechen und essen.

Dann, wenn das ganze Dorf durchwandert ist, versammeln sich die befreundeten Frauen mit den Kindern auf dem Arme vor dem Geburtshaus und tanzen und singen dazu: Ca ko di bolake dinangi? „Warum halten wir denn den Ausgehtanz?“ Dinangi von nanga „säugen“, also „das Säugen“, und dann „den Tanz, um das Stillen zu feiern“.

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b. Zwillingsgeburten

Wer heute unter den Leuten hören will, was sie über Zwillinge Zwillinge denken, merkt bald, daß die Leute sehr unsicher sind, ob eine Zwillingsgeburt ein freudiges oder erschreckendes Ereignis ist, und der mit den Sitten nicht vertraute Europäer schließt aus den mit dieser Geburt verbundenen Tänzen, daß man einen Freudentag begeht. Heute, wo mancher Aberglaube und Furcht etwas mehr zurücktritt, sind auch viele Schwarze geneigt, die freudige Seite solchen Ereignisses, nämlich die Mehrung der Sippe, in den Vordergrund zu stellen. Ursprünglich aber war eine solche Geburt ein Unglück, das die ganze Sippe belastete.

Eine Zwillingsmutter wird von Anfang an bedauert und gemieden. Denn das, was sich durch die Geburt an ihr gezeigt hat, ist ansteckend. Darum wird das offizielle Jubelgeschrei der Besucherinnen unterlassen; viele Frauen wagen überhaupt nicht zum Geburtshaus zu gehen. Heute wendet sich diese Sitte: Der Jubel wird besonders laut gerufen. Zunächst müssen nun ältere Frauen kommen, die sich auf die einschlägigen Mittel verstehen; d. h. Zwillingsmütter. Sie bereiten aus Kräutern und Rinden einen Absud, der von den Pflegerinnen der Wöchnerin teils getrunken, teils ihnen über den Körper gegossen wird. So sind sie gegen den bösen Einfluß der Wöchnerin immun. Sie müssen nun bei der Wöchnerin bleiben, bis diese freigegeben ist, denn auch sie sind in ihrem jetzigen Zustand für andere gefährlich. Auch die beiden Kinder werden mit Drogen abgewaschen, um das Gefährliche in ihnen wenigstens zu dämpfen. Der Zwillingsvater steht nicht unter besonderen Verboten und kann Frau und Kinder pflegen helfen, muß aber Vorsicht walten lassen. Bei den Bakwiri kommen am Geburtstag noch Mitglieder des Kultbundes Lisua, reißen an der Geburtshütte die Türpfosten hinweg, brechen in der Hütte den Fußboden auf, zum Zeichen, daß Zwillinge darin sind und ziehen dann trommelnd und laut lärmend durch die Siedlung; sie zeigen damit an, daß alle in Gefahrenzustand geraten sind.

Zwillinge sind anders als andere Kinder: Händelsüchtig, neidisch und werden leicht zornig und verärgert. Im Ärger können sie wieder weggehen, d. h. sterben. Darum ist ihre Aufzucht vom ersten Tage an besonders schwierig, denn es ist darauf zu sehen, daß nicht des einen oder beider Ärger oder Neid erregt wird. Zunächst zeigt man ihnen, daß sie an einen guten Ort gekommen sind. Wenn nötig, leiht der Vater Vater in der Nachbarschaft allerlei Gegenstände und Nahrungsmittel, hängt sie in die Kinderstube und sagt ihnen: Schaut nur, ihr seid nicht zu armen Leuten gekommen; ihr könnt es euch bei uns ganz wohl sein lassen! Man hat auch be[ob]achtet, daß Zwillinge sehr gern und viel nach der Darre schielen, wenn darauf Fleisch liegt. In Kpasa (Bakwiri) will eine Frau beobachtet haben, wie von den Zwillingen ihrer Nebenfrau eines zum anderen sagte (denn Zwillinge können sich gegenseitig verständigen, wenn sie etwas vorhaben): „Hier sind wir an die unrechte Stelle gekommen; hier ist’s nicht gut; wir wollen machen, daß wir wieder wegkommen!“ – Entwickeln sich beide Zwillinge nicht gleich gut, so trägt das stärkere Kind daran die Schuld, es beneidet das andere und zehrt an dessen Lebenskraft, vgl. S. 116. Weil der Neid des einen das andere nicht gedeihen läßt, muß alle Vorsicht walten, daß kein Neid erwachsen kann: Geschenke für die Mutter oder die Kinder müssen immer doppelt gegeben werden. Jedes Kind bekommt seine

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[auf Rückseite von S. 4: ] Zu S. 5 Bei den Duala versammelt sich nach Zwillingsgeburt die Sippe mbia zur Rite, esa o somele onola ewomb’ a muto um einer unfruchtbaren Frau Fruchtbarkeit anzuwünschen, damit sie nicht krank werde und sterbe. Zwillingsnamen bei den Balondo: männlich: Jyasa oder Ngoe weiblich: Kongo oder Wase]

Mutterbrust und zwar das erstgeborene die rechte, das zweite Kind die linke; wenn später die Kinder größer geworden sind und ihnen Beikost gegeben werden kann, ist diese Vorsicht nicht mehr erforderlich. Sind die Kinder zweierlei Geschlechts, so sind auch zweierlei Geschenke für sie zu geben. Will der Vater Vater mit dem Stock, Buschmesser o. ä. ausgehen, so muß er zwei Stöcke, Buschmesser o. ä. tragen; geht die Mutter später auf den Acker, so stellt sie in ihren Rückenkorb noch einen zweiten u. ä. Gegen Zwillinge Zwillinge darf man auch keine Drohbewegung machen, sonst kann einer im Ärger „das Zeitliche segnen“. Die Bakwiri sagen: O si lata maese, o si ya lengama liwou „Ärgere keine Zwillinge, damit dir nicht der Hals schief stehen bleibt“. Das tritt angeblich ein, wenn man gegen solch ein Kind eine verächtliche oder ablehnende Kopfbewegung macht. Um solch steifgewordenem Genick abzuhelfen, muß der Zwilling (ist er noch klein, dann für ihn die Mutter, die zuvor die Liane in des Kindes Hand gelegt hat) eine moli mo ndombo „ein Stück der ndombo-Liane“ biegen und dem Frevler um den Hals legen.

Bei den Bakosi müssen Mutter Mutter und Kinder im Geburtshaus bleiben, wo unter der Mutter Bett die Nachgeburt vergraben wurde. Bei den Bakwiri bezieht sie eine besondere Hütte des Gehöftes, früher wurde ihr eine Hütte im Busch für sie und die Kinder errichtet. Diese darf dann zunächst nicht verlassen werden oder im Notfall nur durch die Hintertür, durch die ja niemand Fremdes geht. Wenn es geht, hält man die Zwillingsgeburt einige Tage geheim, es soll ja niemand kommen und die noch zarten Zwillinge reizen.

Stirbt eines der Zwillinge, so wird es unter dem Bett der Mutter beerdigt2; niemand aber darf es beweinen, denn das noch lebende Kind darf den Tod seines Kameraden nicht erfahren. Man bringt es auch in einen anderen Raum oder verhängt sein Lager. So merkt es, daß sein Kamerad nicht mehr ist [und] bekommt Lust, auch wegzugehen.

Wie andere Kinder bekommen die Zwillinge am neun neunten Tag ihren Name Namen, nur haben die Zwillinge besondere Namen; bei den Bakosi heißen Knaben Nsang, Mädchen Pisang. Alles andere, was sonst am neunten Tage an Gebräuchen geübt wird, [wird] erst nach zweimal neun Tagen verrichtet. Dann hört für die meisten Besucher die Wochenpflege auf. Ein Medizinmann Medizinmann klistiert und wäscht sie, und macht sie damit frei von Ansteckendem.

Die Wöchnerin benutzt wieder die vordere Tür und kehrt, nachdem sie an diesem Tag die nötigen Reinigungszeremonien durchlaufen hat, mehr oder weniger wieder ins öffentliche Leben zurück; bei manchen erfolgt das aber erst nach Verlauf von 2 – 3 Monaten. Dann dürfen die Kinder zum ersten Mal „die Sonne sehen“ und werden ins Freie gebracht. Mutter und Kinder werden außer den an diesem Tage üblichen Schnüren, die die Bekleidung darstellen sollen, noch andere Schnüre angelegt zum Zeichen, daß sie mit der Zwillingsgefahr behaftet sind. In Duala versammelt man sich an diesem Tag zu einer Versammlung, in der alles Ungute beseitigt werden soll, vgl. topo la besa auf S. 156, um den Zwillingen „alles Gute anzuwünschen“, damit sie nicht krank werden, sondern gedeihen. Ein Medizinmann wäscht Mutter und Kind ab und beschmiert sie an Brust und Armen mit roter Erde, Beine und Gesicht mit weißer Erde, das übrige und die Schädeldecke mit Rotholzbrei. Die Mutter hält nun ihren ersten Ausgang, indem sie mit ihren {6} Genossinnen zur Schöpfstelle zieht. Unterdessen reinigt ein Medizinmann das Geburtshaus, das nun wieder von allen betreten werden kann. Der Geheimbund, der bei der Geburt das Dorf warnen mußte, erscheint nun wieder, tanzt gegen ein Geschenk vor dem Haus und nimmt die beiden Kinder und zieht mit ihnen durchs ganze Dorf, um sie allen zu zeigen. Der größte Gefahrenzustand ist für sie und die anderen überwunden.

Dem öffentlichen Leben sind nun Mutter und Kinder wieder gegeben, aber sie wohnen in ihrer besonderen Hütte, sind gekennzeichnet vor anderen, müssen allerlei Vorsichtsmaßregeln beachten und andere mit ihnen. Das zeigt, daß doch noch nicht alle Gefahr beseitigt ist. Die Mutter, die in gewöhnlichen Fällen nicht innerhalb dreier Jahren nach der Geburt in Hoffnung kommen soll, muß nun die doppelte Zeit getrennt von ihrem Mann leben. Erst dann nimmt der Medizinmann am Badeplatz die letzten Reinigungen vor, schneidet auch Mutter und Kindern die Zwillings-Schnüre [ab;] das Wasser nimmt die Schnüre und alle anhaftende Gefahr und Schwachheit mit sich fort. Aber selbst danach muß eine Mutter, deren Zwillinge Zwillinge am Leben geblieben sind, beim Besuch einer Leichenfeier einen Kranz von edjenge ndom-Blättern um den Kopf tragen, damit „die Zwillinge nicht ärgerlich werden“, d. h. nicht in Gefahr kommen. Oder wenn die Mutter sonst ausgegangen war, muß sie bei der Rückkehr vor Eintritt in die Wohnung an der Haustür klopfen. Denn Zwillinge können sich „spalten“, d. h. ihre Lebensseele kann den Leib zeitweilig verlassen. Träte nun die Mutter überraschend in den Raum, so würde unter Umständen die Lebensseele vergrämt und kehrte nicht mehr in den Leib zurück; das Kind würde sterben.

Warum hat man nun die merkwürdigen Regeln bei Zwillingen, warum sind diese so anders und werden anders behandelt als andere Kinder? Sicherlich nicht nur darum, weil – wie der rationalisierende Schwarze und Weiße meint – die Aufzucht der Kinder schwerer ist als bei Einzelkindern, weil sie meist schwächer sind, weil oft eines sich besser entwickelt als das andere. Warum hat man eine Abneigung gegen sie? Nicht nur, weil sie mehr Mühe machen. Sondern das Ereignis ist so groß und eigenartig, daß man hier ein tiefgreifendes Erlebnis der Macht, der unsichtbaren Welt hat. Darum wird die ganze Ordnung der Sippe und diese selbst in Gefahr gebracht, die man durch Gebräuche beseitigen will. Weil Zwillinge etwas so Außerordentliches und Unnormales sind, glaubt man auch, daß sie aus einem anderen Ort kommen; nicht aus dem Hades wie normale Kinder, sondern aus dem Himmel Himmel, vgl. auch S. 149. Dorthin, [zu] dem Ort, wo alles in Hülle und Fülle ist, kehren sie auch zurück, wenn sie als Kinder wieder von hinnen gehen3; daher auch ihre Eifersucht und [ihr] Neid.

Wie kommt aber nun die Mutter zu dieser eigentümlichen „Himmelsgabe“? Es ist ein Versehen oder [eine] Erbschaft. Eine Frau kann es z. B. auflesen, wenn sie beim Gang vom Acker oder zum Markt ihre Last dort abstellt, wo zuvor eine Zwillingsmutter rastete (wir haben ja gehört, daß diese Sache ansteckend ist); oder sie hat ohne rechte Vorsicht eine Zwillingswöchnerin besucht; unendlich sind hier die Möglichkeiten. Oder (so bei den Bakwiri) die hoffende Mutter hat sich die Zwillinge beim abendlichen Wasserholen an der Schöpfstelle angetrunken. Darum befiehlt ein Mann seiner Frau in diesem Zustand, ja abends an dem Bächlein kein Wasser zu trinken, denn sonst könnte „sich ihr Blut spalten“ und sie Zwillinge bekommen4 Vater {7} Mutter

Jeder ist überrascht angesichts der Menge der Riten Riten, die eine Geburt und erst recht eine Zwillingsgeburt nach sich zieht, und man kann sich denken, wie hier die urtümlichen Bindungen für junge Christen Ärgernis werden können. Es ist nicht einfach zu sagen, wie sich Eltern und Verwandte in all den entstehenden Fragen entscheiden sollen, um nicht heidnisch zu handeln; besonders wenn die, welche ihnen raten sollten, von den einschlägigen Sitten so wenig wissen! Manche Gebräuche sind so irrational, daß sie auch von den Eingeborenen nicht mehr verstanden werden und Europäer hinter ihre Absicht nicht kommen. Dabei sind viele Riten nur Bilder und aus Erleben, nicht aus rationaler Überlegung hervorgegangen; darum sind auch rationalistische Erklärungen möglichst abwegig. Geburt

2.  Beerdigung Beerdigungssitten und eyu (Bakwiri) Totenfeiern bei den Bakwiri

Die Einzelheiten der verschiedenen Gebräuche variieren bei den verschiedenen Stämmen, in den großen Zügen aber ähneln sie sich.

Fühlt ein Mukwiri sein Ende nahen, so setzt er seinen Nachfolger – es ist meist der älteste Sohn, oder, sind die Kinder noch klein, der Bruder – ein und regelt seinen Nachlaß. In den letzten Tagen und Stunden läßt sich möglichst jeder Verwandte und Bekannte bei dem Sterbenden sehen, um zu bezeugen, daß er den Tod Tod nicht veranlaßt hat, und um bei dem Sterbenden einen guten Eindruck zu hinterlassen. Den Todeskampf erklärt man sich so: Ein Dämon Mokase, Dämon der Bakwiri Mokase (nur bei den Bakwiri bekannt) kommt und will den Sterbenden an sich reißen, so daß er Gott nicht schauen dürfe. Wen er überwältigen kann, dem reißt er den Unterkiefer weg, so daß er nachher mit offenem Mund daliegt. Der Sterbende verlangt darum Waffen und Feuerbrände und schlägt mit ihnen um sich, um sich des Mokase zu erwehren. – Die Lebensseele ist schon von ihm geschieden, und man weiß über ihren Verbleib nichts.

Mit dem Eintritt des Todes tritt die Schatten-, Körperseele, vgl. auch edimo Schattenseele aus dem menschlichen Körper aus, der zur Leiche Leiche wird. Die Schattenseele hält sich noch etwas bei der Leiche auf und macht sich dann auf den Weg in den Hades Hades5, davon weiteres auf S. 10ff., 39. Sofort beginnen die Anwesenden die Totenklage, eine der Frauen begibt sich klagend auf die Straße und singt das traurige Ereignis den Anwohnern zu, geht auch in befreundete Häuser hinein und macht Mitteilung; so weiß bald das ganze Dorf, was geschehen ist. Je angesehener der verstorbene Tote war und je trauriger die Umstände des Todesfalles sind, desto beweglicher pflegt die Klage zu sein. – Auf die Anzeige hin machen die, die der Todesfall etwas angeht, ihren Besuch im Totenhaus, wo jeder Neuankommende mit einem frischen Ausbruch der Klage empfangen wird. Das hilft ihm, leichter in die Klage miteinzustimmen. Manche werfen sich auch auf den Boden und wälzen sich im Staub, streuen sich auch Erde an den schweißenden Körper; denn es ist wesentlich, daß man sein „Mitleid“ zeigt. Es ist pietätlos, seinem Schmerz nicht laut Ausdruck zu geben; so entspricht die Totenklage dem natürlichen Gefühl und der Überlieferung. Auch wer in den Tagen der Krankheit selbst die geringste Hilfe versagte, ist nun auf einmal des Mitleids und der Teilnahme voll. Denn wer es nicht ist, zeigt damit, daß er mindestens dem Sterbefall zustimmt, wenn er ihn nicht etwa gar mit verursacht hat. Die allgemeine Klage wird hier und da unter- {8} brochen durch den Gesang einzelner Nahestehender, die in einem Sätzchen ihre Klage oft wiederholen, bis sie von der ganzen Gesellschaft wieder abgelöst werden. – Nun bringen ein paar Männer Flinten, die im Tanz abgeschossen werden, damit die Kunde auch in der Unterwelt gehört werde.

In der Hütte wird der Tote unterdessen gewaschen und zurechtgemacht, auf ein Gestell gelegt, so daß er von jedermann im neuen Gewand gesehen werden kann. Oft wird er auch auf den Hof herausgesetzt und um ihn wird getanzt, besonders wenn er an einem Kriegszug teilgenommen oder gar einen umgebracht hatte. Da tun sich seine Kameraden zusammen, haben ihr Kriegsgerät in der Hand, gehen schleichend wie gegen einen unsichtbaren Feind vor, den sie mit Steinen bewerfen und auf den sie zuletzt mit großem Gebrüll losstürzen. Dann kehren sie triumphierend um zur Leiche. Sie haben ja auch den Bewohnern im Hades gezeigt, wie der Verstorbene einst gefochten hat.

Den Witwen werden die Kleider ausgezogen und ihnen statt der Betten für die kommenden Nächte eine Streu aus trockenen Bananenblättern gerichtet. In dieser Nacht schlafen sie zwar noch nicht, sondern halten mit den anderen Totenwache. Statt Kleider tragen sie ein aus Bananenbast gewobenes kleines Schamschürzchen an einer Hüftschnur, an der hinten ein Bündel losen Basts herabhängt. Nach kurzer Nachtruhe, da die Frauen und andere zusammensitzen, beginnt die Klage wieder am frühesten Morgen.

Unterdessen haben drei oder vier Burschen ein Grab Grab gegraben, früher vielfach in der Hütte des Verstorbenen, heute meist hinter dem Haus im Busch. Heute beerdigt man vielfach im Sarg nach europäischer Art; in abgelegener Gegend aber noch nach Väterweise. Damals war jedes Grab etwa 3/4 bis 5/4 m tief; ein rundes Loch, an dessen einer Bodenseite eine besondere Grabnische gegraben wurde, darein der Leichnam zu liegen kam. Ein Alter, unter Umständen ein Orakelmann, hatte anzugeben, wo diese Nische anzubringen war. Denn es ist nicht einerlei, wohin der Tote schaut. Sieht er die aufgehende Sonne, so bekommt der Tote auch Lust, „auszugehen“, d. h. Wiedergänger Wiedergänger zu werden und seine Angehörigen zu beunruhigen; die untergehende Sonne aber läßt ihn ruhig schlafen. In die Grabesnische wird der Tote gelegt wie in sein Bett, unter sich seine Schlafmatte mit einem Holzklötzchen unter dem Kopf, besprengt mit beruhigender Medizin Medizin; manchmal werden auch kleine Opfergaben in das Grab gelegt; früher waren es bei angesehenen Leuten getötete Menschen, ja man erzählt bei den Bakwiri noch, daß auch lebende Sklaven mit in die Gräber großer Männer gegeben worden seien.

Nicht jeder aber konnte so ruhig begraben werden. Anders war es, wo der Verdacht bestand, daß der Betreffende an Hexenkraft zugrunde ging oder selbst eine Hexe war, d. h. Menschen auf okkulte Weise umgebracht hatte. Das konnte nur durch Obduktion Obduktion festgestellt werden. Man nahm den Leichnam in den Busch hinters Haus und legte ihn auf eine Lage Bananenblätter; ein Sklave oder sonst ein gewöhnlicher Mann, der sich nicht fürchtete, schnitt der Leiche den Bauch auf, und nun wurde das herausgenommene Eingeweide untersucht und festgestellt, über welcherlei Hexenkraft er verfügte, ob er fremder oder eigener okkulter Macht erlegen ist oder ob er als Schädling andere Menschen umgebracht [hat]; vgl. auch S. 156. War er letzterer, so mußte sofort alle Totenklage aufhören, und sein Grab wurde weit im Busch bereitet, wenn er überhaupt beerdigt wurde. Wer starke Hexenkraft hatte, wurde oft besonders beerdigt; bei manchen Stämmen hatte man für solche Personen einen besonderen Beerdigungsplatz, der für gewöhnliche Menschen und besonders für Frauen tabu war. Bei wem man Wiedergängertum befürchtet, [dem] wird etwa[s] auf den Bauch gelegt oder Rückgrat und Glieder werden ihm gebrochen, sein Kopf in einen Topf gesteckt, oder ähnliche Mittel sollen ihn am Wiederkommen hindern. Waffen gibt man {9} niemand mit ins Grab. Dort ist er ja unbehelligt, er könnte sie höchstens als Wiedergänger Wiedergänger gegen die Eigenen auf Erden gebrauchen, und das will man gewiß verhindern. Die Ausrüstung für die andere Welt geschieht auf andere Weise.

Ist das Grab fertig und der Leichnam bereitet, so holen die Totengräber Totengräber den Leichnam und legen ihn ohne Sang und Klang, auch ohne weitere Begleitung ins Grab. Ihre Arbeit ist stark verunreinigend und Gefahr bringend, darum verrichtet sie keiner gern. Das Grab darf nicht über Nacht offen bleiben. Deshalb wird der Tote hineingelegt, sobald es fertig ist und wird auch sofort wieder geschlossen. Und doch wird es nicht ganz geschlossen. Vom Mund des Toten führt ein glatter Stock durch die Erde nach oben. Hat sich später die Erde gesetzt, so wird der Stock herausgezogen und man hat nun eine Öffnung, durch die man den „lebenden Toten“, denn ein solcher ist es, füttern und tränken kann. Sonstwo gehen die Totengräber nach Schließung des Grabes an den Fluß und haben dort ein Reinigungsbad, bei dem sie auch ihr ärmliches Gewand, in dem sie ihre Arbeit getan [haben], vom Wasser davontragen lassen. Auf dem Gebirge aber hat man keine solche Badestellen. Hier gehen die Totengräber nach Hause, kochen Wasser mit starker Pfefferminz-Beigabe. Das Waschen des Körpers mit dieser scharfriechenden Brühe vertreibt nicht nur den Leichengeruch, sondern auch das Beängstigende, das einem vom Toten her anhaftet. Nachher zerkauen sie scharfe Ingwerkörner, spucken sie in alle Richtungen in ihrem Zimmer aus und wiederholen dabei immer wieder:

„Ich möchte dich nicht wieder sehen;

laß uns geschieden sein!“

Gleicher Abwehr dienen die Blätter des Leberwurstbaumes, die die Totengräber unter ihr Dach stecken. So können sie unangefochten schlafen.

Am anderen Tag müssen sie das Grab „fertigmachen“. Mit einem Huhn, einer kleinen Sprechtrommel, einem Stück Bananenstrunk, Brennesselblättern, Ingwerkörnern, Ölnußfasern und einem Feuerbrand gehen sie zum Grab. Das Grab wird nochmals festgetreten, dann mit Steinen belegt und mit der Trommel festgestampft, so daß sich später durch die Sonnenhitze keine verdächtigen Risse mehr bilden können. Mitten aufs Grab legt man den Feuerbrand und streut die fettigen Ölfasern hinein samt Brennesseln und Ingwer, so daß ein recht beißender Rauch aufsteigt. Diese starken Mittel sollen den Toten im Grab festhalten, so daß er nicht ausgehen kann. Dabei werden Ingwerkörner gekaut und um sich gespuckt als ein Abwehrmittel gegen den Schattengeist. Dann wird das Huhn ergriffen. Viel Geschrei und Lärm des Huhns würde auch den Toten unruhig machen; darum ist hier Ruhe geboten: Einer packt das Huhn, einer hält ihm sofort den Schnabel zu und dreht ihm den Kopf ab, andere packen Flügel und Beine und brechen sie. Dann läßt man sein Blut Blut auf das Grab ausströmen. Die Schwungfedern werden dem toten Huhn ausgerissen und aufs Grab gesteckt. In Blut und Federn hat der Tote sein Anteil an dem Huhn, das die Totengräber zu Hause verzehren. Mit dem schmierigen Saft des Bananenstrunks reibt man sich über dem glostenden Brand die Hände ab, spuckt Ingwerkörner, und jeder spricht für sich:

„Freund, heute habe ich mit dir abgeschlossen,

tue mir nun auch Gutes!“

Damit wollen sich die Totengräber von dem Toten verabschieden, sie wollen körperlich-geistig nichts mehr mit ihm zu tun haben; doch wünschen und erbitten sie sich seinen okkulten Segen.

Von den nächsten Angehörigen geht niemand mit zum Grab, sonst würde man ja dem Toten zeigen, daß man nicht von ihm lassen kann, würde ihn geradezu einladen zu unheimlichem Besuch. Den wünscht aber niemand. Darum halten die Weiber zwar schon in aller Frühe ihre Totenklage, aber am Abend sind sie stille in ihrer Hütte, kauen und spucken Ingwerkörner gegen die Wände und singen: „Laß mich in der Nacht in Ruhe, ich will nichts mehr mit {10} dir zu tun haben!“ Und fühlt sich eine Frau dennoch von ihrem verstorbenen Mann beunruhigt, so muß sie sich durch einen nganga Medizinmann „Medizinmann“ von ihrem Mann scheiden [Ehescheidung] „scheiden“ lassen, d. h. sie wird abgewaschen und klistiert und muß Absude trinken, damit die Verbindung mit dem Verstorbenen gelöst werde. Leiche

Die Witwen und anderen nahen Verwandten des Verstorbenen befinden sich nun in einem Gefahrenzustand. Darum müssen sie für andere kenntlich gemacht werden durch Anlegen allerlei Trauerzeichen und Stehenlassen des Haares bis die Zeit der Trauer „Trauer“ (die aber mit dem, was wir unter Trauer verstehen, nichts zu tun haben muß) vorüber ist. Die Witwen dürfen z. B. ihr Haus nicht verlassen, außer wenn sie morgens gemeinsam zum Baden gehen, eine hinter der anderen, sich an der Hand führend und gebückt den Blick an den Boden geheftet6. Den Körper wichsen sie mit zerriebener Holzkohle und Salböl [ein]. Um den Kopf binden sie die roten Schoten des Ingwer und hängen scharfriechende Kräuter übers Ohr, die den Spuk vertreiben sollen.

neun Neun Tage lang muß die Totenklage besonders streng gehalten werden, danach haben nur die nächsten Angehörigen die Trauergebräuche zu halten. Während der neun Tage kommen gegen Abend die Freunde des Verstorbenen und halten wieder und wieder ein Kriegsspiel im Hof. Da liegt auch eine Sprechtrommel mit dem Schlitz nach unten. Allmorgendlich kommt ein Trommler, ruft des Verstorbenen Namen und trommelt dann dessen Lieblingstanz, bis einer, der neben ihm steht, ein Gewehr abschießt. Man glaubt, der Verstorbene komme herbei und tanze zum Rhythmus der Trommel, bis ihn der Schuß hinwegschreckt.

So sehr bei den Handlungen der Angehörigen Liebe und Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Verstorbenen zum Ausdruck kommen soll und manche Träne in wahrer Wehmut geweint sein mag, alle Handlungen der Hinterbliebenen wollen eines: Die Scheidung mit dem Körper des Abgeschiedenen und auch mit seiner Schattenseele vollständig machen. Darum singen manche am geschlossenen Grab: Du bist nun gegangen, so sei auch gegangen für immer! – Dieser Scheidung soll auch eine Feier dienen, die meist am dritten oder vierten Tag nach dem Tod Todesfall gehalten wird. Es werden mehrere Töpfe Nahrungsmittel gekocht, Verwandte eingeladen, ein Teil des Essens unter diese verteilt und das andere hinaus in den Buschwald, in die Nähe des Grabes geschüttet und dazu der Tote angerufen, er möge kommen und das Essen holen und seinen jenseitigen Verwandten und Freunden auch davon geben. Am gleichen Tag wird auch das aus der Hinterlassenschaft herausgelesen, das des Verstorbenen persönlichstes Eigentum Eigentum war. Es wird unbrauchbar gemacht und vor dem Ort auf einem Gestell und [auf] Stangen aufgestellt und aufgehängt. Andere gehen aufs Feld und verwüsten einen Teil davon, reißen die Pflanzen heraus und zerhacken sie mit dem Haumesser. Man sagt nun von dem ausgestellten Gerät und von den verwüsteten Äckern, man habe das „weggeworfen“; weggeworfen und unbrauchbar gemacht für diese Welt, damit es brauchbar werde für die unsinnliche Welt. Hier heißt man nun die Sachen „Schmutz“, dort haben sie ihren Wert; während man hier zerbricht, zerhackt, tötet, stellt man zugleich im Jenseits her, baut an und versorgt seinen Abgeschiedenen. Grab

Am neunten Tag ist nochmals ein Fest, zu dem mehrere eingeladen werde[n], besonders wenn sie zu dem vergangenen Fest nicht kommen konnten. Dabei bringt man das wehklagen Wehklagen im größeren Kreis zum Abschluß, man nimmt auch an, daß der Tote sich nun so sehr auf dem Totenweg „Totenweg“ befindet, daß er nicht mehr zurückkommt. Es wird nochmals ein Gemeinschaftsmahl gehalten, und alle gehen zum Grab. Ein dem Toten Nahestehender nimmt Palmwein in ein Gefäß, schüttet eine Kleinigkeit als Opfergabe aus, hält dem Toten eine Ansprache, indem er die Mühe rühmt, die sich die Hinterbliebenen in seiner Krankheit genommen, und ihn bittet, nun die Opfer Opfer anzunehmen, mit seinen {11} Freunden zu verzehren und den Hinterbliebenen Segen und Gedeihen zu spenden.

Wenn nun der Tote wirklich Ruhe gefunden [hat] und nicht als Wiedergänger Wiedergänger die Hinterbliebenen belästigt, so bekommt er außer Wasser, was eigentlich Palmwein bedeuten soll, keine Opfer mehr. Ein Wiedergänger ist aber besonders zu behandeln; wenn sonstige magische Gebräuche nichts helfen, gräbt man ihn aus und verbrennt ihn, dann ist der Spuk zu Ende.

Haben die seitherigen Bräuche als Ziel gehabt, den Toten wirklich los zu werden, eine Mauer zwischen sich und ihm zu errichten, sein Erdendasein zu beendigen, so hat dem noch ein weiteres Fest zu folgen, das ihm den Eingang in den Hades Hades sichern soll. Denn man hat das Gefühl, daß das nicht so leicht geht. Manche haben die Vorstellung, daß die Schatten-, Körperseele, vgl. auch edimo Schattenseele auf dem Totenweg große Schwierigkeiten zu überwinden hat. Die Schattenseele sei von den anderen Schatten gefangen gehalten mit einem Strick um den Hals und Blöcken an den Füßen. Zu diesem Fest ist es nötig zu zeigen, ein wie angesehener Mann der Verstorbene auf Erden war; und wie man ihn hier betrachtet und feiert, so muß dann auch seine Behandlung im Jenseits werden. Darum ist es nicht wesentlich, daß diese Totenfeier möglichst bald gehalten wird, sondern daß sie möglichst prunkhaft ist. Solch Fest will vorbereitet sein. Oft findet es dann erst Jahre lang nach dem Tod statt. Totenweg

Vor diesem Fest werden die Trauerzeichen unter allerlei Zeremonien abgelegt, alle Trauernden geschoren und aller Schmutz (Zubehör, Abfall) „Schmutz“, d. h. hier besonders Haare und Trauerzeichen vom fließenden Wasser wegtragen [ge]lassen. Die Hofstatt wird auch wieder gereinigt und durch allerlei Brauchtum der Gefahr[enzu]stand als beendigt erklärt und Menschen und Dinge wieder dem gewöhnlichen Leben zurückgegeben. Nun können auch die Witwen an die Männer verteilt werden.

Zu den Vorbereitungen gehört, daß ein großer Platz gesäubert wird und an einer Seite ein Gerüst errichtet wird, auf dem die Festkapelle (Trommler) ihren Stand hat. Der Hausherr teilt dem Hofgötzen ikumu j’ ewoka das Vorhaben mit und dann opfert er dem Dorfberuhigungsmittel, vgl. S. 136, in Gemeinschaft mit den Dorfvorstehern ein Huhn in der Erwartung, daß das Fest günstig verlaufe. Am nächsten Nachmittag ist dann das Fest.

Aus den Nachbardörfern ziehen Verwandte und Freunde herzu. In zwei Reihen werden auf der einen Seite des Festplatzes Ziegen, Schafe, manchmal auch Rinder angebunden, die z. T. von den geladenen Gästen als Beisteuer zum Fest mitgebracht worden sind. Als Beginn gilt das Rufen des Toten auf einem Horn durch einen Verwandten. Man glaubt, er komme mit seinen Freunden und schaue sich an, was für ein gewaltiger Mann er in den Augen der Nachwelt gewesen sei. Nun locken die Trommeln zum Tanz, und ein eigenartiges Leben entsteht auf dem Tanzplatz. Jeder auf seine Weise sucht nämlich tanzend darzustellen, auf welche Weise er seine Angehörigen ernähre und wie also die Familie Familie des in den Hades Hades Aufnahme Begehrenden wohlhabend und reich sei. So prahlte ein Sohn zugunsten seines verstorbenen Vaters:

“Hört die Geschichte meines Vaters, wie er gewesen ist:

Er besaß Reichtum; was immer du begehrtest, du konntest es haben!

Willst du etwa Geld, ich gebe dir Geld;

willst du Ziege Ziegen, ich gebe dir Ziegen;

willst du Rinder, ich gebe dir Rinder;

willst du etwa Jungfrauen, ich gebe dir Jungfrauen;

willst du etwa Jungburschen, ich gebe dir Jungburschen!

Geschichte meiner Vorfahren: Nun habt ihr gehört, was man von ihnen sagt.“

So geht das wohl eine Stunde fort, und wer ohne Erklärer als Fremder zuschaut, denkt, die ganze Gesellschaft sei nicht recht bei Sinnen. Unterdessen hat sich der Haupterbe und seine Geschwister und die Witwen vom Festplatz entfernt. In der Nachbarschaft stehen einige Karpater. Die bekommen nun jeder eine Halskrause: Ein grüner Ölzweig, behangen mit roten Ingwerschoten und gelben Früchten eines Nachtschattengewächses. Dann ordnet sich dort ein Zug: An der Spitze zwei Burschen, die den Haupterben auf den Schultern tragen; in der Hand schwingt er ein buntes Tuch, eine seiner Schwestern hält einen Schirm über ihm aufgespannt. Dahinter kommen die Witwen des Ver- {12} storbenen mit schwarzen Kopftüchern, sie ziehen an Strikken die geschmückten Karpater hinter sich her; Burschen und Mädchen der Sippe tanzen im Reigen hintendrein, Zweige, Blumen, kleine Weinkalebassen in den Händen; sie nippen am Wein und verschütten immer wieder etwas als Gabe an die Schatten. Ihren Tanz begleiten sie mit irgendeiner Strophe, etwa: „Ein Bäumchen ist gefallen, ja, ja, ja!“ oder „Leute, kommt und schauet eine Ziege und ihr Junges; hopsassa!“ Die Tanzenden jubeln ihnen zu und machen ihnen Platz, ein Teil schließt sich dem Zug an, andere winken dem Erben zu. Nach einer Weile steigt der Reiter von seinen Trägern herunter und gibt den Beginn eines Trippeltanzes an, wobei Schultern und Arme geschüttelt werden. Hat er den Beruf seines Vaters übernommen, so trägt er ein entsprechendes Zeichen und singt eine entsprechende Strophe. So sang einer, der die Medizinkunst seines Vaters übernommen hatte: „Ihr übernatürlichen Kräfte, laßt mein Mittel so leicht wirken wie die Droge elibaliba (mild wirkend), mein mesuma (sein magisches Mittel), das mein Vater aus der Balong‑Landschaft mitgebracht [hat], gehört nun ganz mir. Wer Verlangen danach trägt, komme zu mir und ich werde es ihm verabreichen“. Die Karpater mit der Halskrause werden zu den Ziegen und Schafen gebunden, vor denen einige herumtanzen und singen etwa: „Was ist doch das für ein Reichtum, der nun dem so und so gehört!“ Oder: „Wenn einer sehen will, was Reichtum ist, der komme und schaue!“

Nach einer Weile unterbricht das Lärmhorn den Tanz und sämtlichen Ziegen und Schafen ruft man zu, daß sie ihr Blöken und Meckern lassen sollen. Die Menge teilt sich auf beide Seiten des Hofes, dazwischen tritt ein Freund des Verstorbenen. Begleitet von zwei Einflüsterern geht er in dem Zwischenraum tanzend auf und ab und singt, um die Menge ganz zu beruhigen, eine Strophe wie: „Die kleine Garnele verschluckt keine Armspange“. Dann geht er dazu über, den Lebenslauf des Verstorbenen zu schildern und eine Art Vermögensbilanz zu geben, wobei auch eingerechnet wird, wieviel Hühner und Ziegen seine Freunde ihm zu Ehren in seinem Leben geschlachtet haben. Es ist dem Gefeierten zum Vorteil, wenn ein möglichst hoher Betrag herauskommt. Der Herold kommt in immer größeren Eifer und seine Begleiter müssen ihm den Schweiß wischen. Sein Amt ist mit einer gewissen Gefahr verbunden; verhaspelt er sich in seiner Rede und er weiß nicht mehr weiter, dann stürzt er wie geschlagen hinweg, und die ganze Versammlung schilt hinter ihm drein. Denn seine Entgleisung ist ein schlimmes Zeichen, daß die Geister mit ihm nicht eins sind. Kann ein nganga die Sache nicht in Ordnung bringen, so muß der Herold zugrunde gehen. Zum Schluß gekommen fragt der Herold: „Ihr Leute von Dingskirch, hab ich meine Sache recht gemacht?“ und die beiden Haufen applaudieren laut. Die Ordnung löst sich auf, die beiden Reihen schließen sich wieder, und man umarmt sich, tanzt und lärmt.

Als neue Attraktion sprengt ein Vermummter in die auseinanderstiebende Menge. Eine Totenmaske, ein maschiges Gewand und eine Menge frischer Palmzweige umhüllen die Gestalt. Mit Tanzen und Springen gaudiert er die Menge. – Ein älterer Verwandter des Verstorbenen tanzt nun mit scharfem Haumesser unter den angebundenen Tieren und haut dem einen und anderen auf den Kopf, so daß dann manches Tier mit herunterhängendem Maul dasteht, nur die geschmückten Karpater bleiben unberührt: Sie werden am Abend den angesehenen Männern des Dorfes als Gabe des Verstorbenen an sie gegeben, werden lebend aufgehängt und dann zerlegt. Die verwundeten Tiere aber werden zum Gemeinschaftsmahl abgeführt.

Nach einer Weile gruppieren sich die Männer der verschiedenen Ortschaften zum schon beschriebenen motio „Kriegsspiel“. – Ihnen wird zum Schluß ein Ziegenböcklein gegeben. Jede Ortschaft rammt einen Pfosten in den Boden und bindet das Tier daran. Die Mannschaft bildet einen Kreis darum, in den ihr Ältester tritt. Hoch auf reckt er ein scharfes Messer, beginnt einen Kriegssang, tanzt, und seine Genossen tanzen mit. Sind sie in eine Art Ekstase gekommen, so gibt er das Messer einem jüngeren Genossen, der nun in den Kreis tritt. Alle legen ihre rechte Hand an die Seine, die das Messer hoch hält. Sie wollen ihn damit stärken. Dann geht der Tanz noch eine Weile weiter, bis wie von ungefähr das Messer niedersaust {13} und des Tieres Kopf vom Rumpf trennt. Das Blut rinnt in den Boden, wo es die Schatten gierig aufnehmen. Dann rafft man Kopf und Rumpf auf und eilt damit hinweg, ohne durch Rückwärtsschauen die Geister in ihrem Mahl zu stören. Das Tier nehmen sie mit nach Hause. – Gelingt der Hieb nicht, weil er Kopf oder Rist des Tieres traf, so wirft der Mann das Messer weg und eilt davon, währenddem sich seine Kameraden bestürzt anschauen, denn auch dies ist ein Unglückszeichen wie der Fehler des Herolds.

Das Fest ist nun vorüber. Die näheren Verwandten bleiben zum Nachtmahl; die anderen ziehen mit ihrem Festgeschenk dorfweise nach Hause.

3. Wie stellt sich der Bote des Evangeliums zu diesem Brauchtum?

Der Missionar, der als sein Ziel eine „lebendige Gemeinde Gemeinde“ sucht, erkennt auch bald ihre zwei Feinde: fleischlichen Leichtsinn und eine Gesetzlichkeit Gesetzlichkeit, die der der Pharisäer ähnelt. Denn wie in Israel steht das Leben der Kameruner unter einem reich ausgebauten Zeremonialgesetz, zu dem auch der eingeborene Christ Stellung zu nehmen hat. Darum muß der Missionar wissen, was dies Gesetz dem Kameruner ist und wie es wohl entstanden sein mag; wie es in der Gruppe und bei dem Einzelnen wirkt, was davon bewahrenswert und darum in der Gemeinde weiter zu pflegen ist. Die Bräuche selbst sind mit so viel magischen Vorstellungen erfüllt, daß der werdende Christ sehr bald empfindet, daß sie zu dem neuen Geist nicht passen. Doch die Gesinnung, die hinter den Bräuchen steht, gilt es zu prüfen.

Bei der Geburt eines Zwillingspaares ist die ganze Sippe Sippe bedroht, wenn nicht alle Bestimmungen erfüllt sind; auch beim einzelnen Kind reden Vater und Mutter vom mun’ a bangan „Kind, das unterm Verfügungsrecht auch noch anderer steht“. Wird dem Verstorbenen nicht die rechte Ehre erwiesen und an ihm nicht die überlieferten Riten vollzogen, so kann er für die ganze Umgebung zur Gefahr werden. Gerade hier zeigen die brauchtümlichen Bindungen ihre unheimliche Macht. Dem christlichen Sippenangehörigen kann alle Schuld für [das] Eintreten eines Unglücks zugeschoben werden, weil er die herkömmlichen Vorschriften beim Ahnendienst und ähnlichem mißachtet hat. So kann er leicht den Zusammenhang mit der Sippe verlieren. Hier müssen für uns unvorstellbare Konflikte in der Gruppe entstehen, und hier können wir begreifen, welche Bedeutung für die Missionsarbeit die Ausführungen Pauli, etwa im Galater- und Kolosserbrief, über die Erlösung von der Knechtschaft des Gesetzes hat für den Afrikaner, der den rechten Weg zur wahren Freiheit eines Christenmenschen finden soll. In diesem Kampf kann der Missionar seinen Leuten bestenfalls nur Richtlinien zeigen, und Anzeichen bestehen dafür, daß in Kamerun ein Christentum entsteht, daß der Judenchristenheit gleicht: Evangelium und alttestamentliches Gesetz sollen vereinigt werden. Was dabei herauskommt, ist zunächst noch nicht klar. Die judenchristliche Gemeinde ist zum Teil von der heidenchristlichen aufgesaugt worden, zum Teil half sie den Islam formen. Man hat in Kamerun bei aller Volksnähe, die viele Missionare suchten, nicht versucht, Gebräuche wie Beschneidung und Mannbarkeitsriten christlich zu beeinflussen und durch kirchliche Feiern zu sanktionieren, wie das in manchen englischen Missionen in Ostafrika getan wird. Die Beschneidung ist als operativer Eingriff auch unter den Christen in Übung, die Mannbarkeitsriten sind so schnell verblaßt im ganzen Land, daß es zu einer rechten Auseinandersetzung damit nicht kommen mußte. Viel schwieriger ist die Strömung, die von englisch beeinflußten nigerianischen Christen auch in Kamerun propagiert wird, sich in Fragen der Polygamie auf den alttestamentlichen Standpunkt zu stellen.

In vielen dieser Fragen vollzieht sich ein Wandel in den Stämmen und Gruppen durch den Einfluß der Freizügigkeit Freizügigkeit, die die oft so unheilvoll wirkende Zivilisation gebracht [hat]. Die Eingeborenen

{14}

[am unteren Ende der Seite eine Fußnote, die sich nicht zuordnen läßt: ] In Kamerun wird im Unterschied zum benachbarten Nigerien die Beschneidung nur am männlichen Geschlecht vollzogen.]

werden durcheinander gewürfelt, so daß sich viel Gebräuche nicht mehr recht ausführen lassen, und so werden den Christen manche Konflikte erspart.

Das Evangelium kann den Suchenden die rechte innere Stellung zu den heidnischen Zeremonien geben; sie müssen sich vor Augen halten, daß das zukünftige Wesen in Christo liegt, daß der Schatten aber überwunden werden muß; Kol 2, 16f.; Hebr 9.

B. Das Leibesleben zwischen Geburt und Tod

Dem Kameruner zerfällt das Leben zwischen Geburt und Tod in verschiedene Stufen, die von einer Art Zwischenperiode oder Übergangszeit getrennt sind. Diese Zwischenperioden machen den Menschen [für] allerlei schädigende Einflüsse anfällig, so daß er auch im Interesse der Gruppe durch allerlei Bräuche und Mittel zu schützen und zu stärken ist.

Wir wollen einige dieser Brauchtümer besprechen.

1. Die Beschneidung Beschneidung

Unter den kameruner Stämmen gilt ein Unbeschnittener nicht für voll, und wohl keine der alten Riten ist bei allen so stark verankert wie die Beschneidung. In Kamerun kann die Vermutung nicht entstehen, daß dieser Brauch als etwas Fremdes von auswärts eingeführt wurde. Bei ihrer Begründung denkt der Eingeborene nicht an hygienische Motive, noch hält er die Beschneidung für eine religiöse Sitte, noch setzt er sie wie bei Zahnverstümmelungen und Tätowierungen Tätowierungen mit der Aufnahme in den Hades in Beziehung. Er sagt selten: Man muß beschnitten sein, weil die Alten darauf sehen, daß ihre Anordnungen befolgt werden, sondern er betont, daß die Beschneidung die Voraussetzung rechter Zeugungsfähigkeit ist.

Heute ist die Beschneidung ein rein operativer Eingriff, dem magisches Brauchtum abgeht. Was vom Beschneider verlangt wird, ist eine sichere Hand und nicht die okkulte Ausrüstung des nganga. Das scheint nicht anders gewesen zu sein, als die Beschneidungsrite noch im Zusammenhang mit der Initialschule ausgeführt wurde.

Da vom Beschneidungsfest nachher die Rede ist, fragen wir hier nur, wie mag diese Sitte so fest im Empfinden der Stämme verwurzelt sein, daß es in den christlichen Gemeinde Gemeinden zu einer schweren Krisis kommen müßte, wollte man mittels der Kirchenzucht gegen diese Volkssitte Stellung nehmen. In Israel war der Nichtbeschnittene nicht Volksgenosse, denn er stand außerhalb der religiösen Gemeinschaft; nicht so in Kamerun, wo er keine Gefahr für die Gruppe bildet. Im Gegenteil, man betrachtet ihn eher als harmlos, als nicht mächtig. Und doch ist die Sitte der Beschneidung hier so tief wie dort im Volksgemüt verankert. Ob auf beiden Seiten auch der Grundgedanke der Sitte ähnlich ist? Das N[euen] T[estament] setzt [man] die Taufe mit der Beschneidung in Parallele und sagt, es handle sich bei beiden um ein Wegtun oder Ausziehen des Fleischeslebens, Kol 2, 11; damit trifft sie wohl auch die Meinung des A[lten] T[estaments]. Pauli Ansicht ist, daß bei Beschneidung und Christi Kreuzestod gleicherweise ein Gerichtsakt über des Menschen Leib vollzogen wird. Nach der Schrift soll durch die Beschneidung dem israelitischen Volksgewissen eingeprägt werden, wie es mit der Leiblichkeit vor Gott gestellt ist, nämlich daß sie in Unordnung geraten ist, und der schmerzhafte Vorgang sollte die Einprägung recht eindrücklich machen. Dem Kameruner Heiden, der sich beschneiden läßt, fehlt zwar diese tiefere Erkenntnis, als ihm die Beschneidung nicht als göttliches Gebot vor Augen steht, sondern als Gesetz, vgl. auch Tabu Gesetz, hinter dem die Ahnen stehen. Es wird wohl darum so fest gehalten, weil ein zwar dunkles, aber starkes Empfinden eine Reinigung, ein Abtun von Schmutz, eine Sühne, ein In-Zucht-Nehmen des sexuellen Lebens fordert zum Besten der Sippe, der in der nur dem Beschnittenen möglichen Fortzeugung im höchsten Maße {15} gedient wird. „Wenn ein Unbeschnittener noch so erwachsen ist und geht mit eines anderen Frau zusammen, so regt sich deren Mann darüber nicht auf, noch verklagt er den Betreffenden beim Ältestenrat der Siedlung; er ist ja nicht beschnitten.“ ([Pastor] Molindo von den Bakwiri). Man sagt auch, früher sei darum durchschnittlich später beschnitten worden, weil der Umgang Unbeschnittener mit Frauen nur als Spielerei, nicht als Hurerei angesehen [wurde] und darum [auch nicht] strafbar war. Der Unbeschnittene bringt das Kollektiv nicht in Gefahr. – Wenn zu gewissen Zeiten der eheliche Geschlechtsverkehr zu unterbleiben hat, z. B. vor Lösung großer Aufgaben: Jagd, Krieg, kultischer Handlung, Heilriten u. ä., so deutet das in die gleiche Richtung.

Paulus arbeitet gegen die Beschneidungssitte nicht mittels der zucht Kirchenzucht, sondern sagt von denen, welche auf dem Wert dieser Sitte bestehen: Wer sich beschneiden läßt, dem nützt Christus nichts und [er] muß darum das ganze Gesetz erfüllen, Gal 5, 2 – 4; dagegen wird dem Beschnittenen nicht der Ausschluß aus der Gemeinde angedroht. Dem entspricht die Haltung in den christlichen Gemeinden Kameruns. Beschneidung

2. Die Erziehung Erziehung im Stamm

Die Erziehung in der Familie Familie stößt auf manche Hindernisse: Mann und Frau Mann und Frau wachsen selten zu „einem Leib“ zusammen, weil beide noch ihren Sippen angehören; der polygynische Frauenhof zersplittert das Interesse des Vaters und läßt die Erziehung besonders in den ersten etwa 10 Lebensjahren des Kindes in den Händen der Mutter oder gar deren Sippe Sippe. Daneben aber ist es mun’a bangan, d. h. es gehört noch anderen als den Eltern, die sich daher Einsprüche in ihre Erziehung gefallen lassen müssen. Bei solcher Behinderung der Familienerziehung hat ein Kind vielfach seinen eigenen Willen. – Eine Ausbesserung dieses Mangels suchte nun der Stamm in seinen mancherlei Schulungen zu schaffen, um die heranwachsende Jugend auf dem Weg der Gewöhnung an Selbstbeherrschung, Ertragen von Schmerzen, strikten Gehorsam und Stammesdisziplin zu brauchbaren Gliedern der Gemeinschaft Gemeinschaft zu machen. Der fast allgemeine Zusammenbruch dieser Regeln und Übungen wird am meisten dadurch offenbar, daß die Jugend nicht mehr in den ihr von alters gezogenen Schranken läuft.

Trotzdem gibt es aber auch heute noch allerlei, was an jene alten Bräuche gemahnt. Der Großvater tropft dem schreienden Säugling Säugling, dessen Mutter auf dem Acker lange ausbleibt, langsam einen ganzen Becher Wassers ins Mündchen. Auf diese Weise stillt er nicht nur das Kind, sondern „weitet ihm auch das Mäglein, damit es einmal später, wenn es das Ordale (Gottesgericht) Ordal (vgl. S. 133) trinken muß, recht viel Wasser zu sich nehmen und so leichter wieder erbrechen kann“. Hat der Vater sonst niemand zum Lasten tragen, so gibt er sie dem Jungen und geht leer nebenher; und die Mädchen werden auch jetzt noch von der Mutter als Hilfe herangezogen auf dem Acker und beim Kinderhüten, Wasserholen und ähnlichem. Früher haben junge Burschen an Sklaven, die zu opfern waren, ihre Kaltblütigkeit beweisen müssen. Heute gibt man bei großen Totenfesten, wo eine Menge Tiere getötet werden, kleinen Knaben von 8 – 12 Jahren ein Messer in die Hand; ein Junge hebt seines Vaters Ziege den linken Vorderfuß hoch, stößt dem Tier das Messer in die Brust und wühlt darin herum, so daß es lautlos verblutet. Es kann auch heute noch vorkommen, daß solch ein Lausbube im Gebüsch am Ortsausgang einer fremden Frau auflauert, um ihr plötzlich mit einer Gerte den Rücken zu schlagen. Wendet sie sich [um] und der Junge flieht, oder bezieht gar von der Fremden seine Dresche, so wird es ihm später schwer fallen, unter seinen Stammes- und Altersgenossen einen Namen zu bekommen, zunächst wenigstens ist er und seine Familie ein Gespött. An Übungen zu Wettkämpfen und Preisrudern nimmt auch heute die Jugend noch teil und wartet, bis sie zum ersten Mal mit den Erwachsenen auf die Jagd darf; im Jagen von Kleinwild und im Fischfang übt sie sich ohnedies. Jedenfalls haben Sippenverband und Siedlungsgemeinschaft gewußt, daß [die] Jugend erzogen sein muß, nicht nur durch unabsichtliche Gewöhnung, sondern auch durch absichtliche Zucht.

Auch Zahnverstümmlung und Tätowierung wurde unter diesem Gesichtspunkt geübt; beides muß aber immer mehr in Abgang kommen. Auch diese Eingriffe waren nicht dem nganga vorbehalten, sondern konnten von jedem {16} ausgeführt werden, der eine dazu geschickte Hand hatte. Der Zahnverstümmelung Zahnverstümmelung fielen bei den meisten Waldlandstämmen die Innenseiten der beiden mittleren oberen Schneidezähne zum Opfer; die Kreuzflußstämme und die Bamum schlagen an diesen Zähnen ein Rechteck heraus, beginnend an der äußeren Ecke des Zahns und endend, wo die innere Kante das Zahnfleisch berührt, während die anderen Stämme des Aufstiegs- und Graslandgebietes die vier oberen Schneidezähne zu je einem umgekehrten Kegel formen. Der Operateur hat ein kleines Messer, das er an der Kante ansetzt und das er mit einem Eisen solange beklopft, bis die Verstümmelung die stammesübliche Form hat. Der tiefere Sinn ist wohl der, daß bei der Begattung auch etwas von der Lebensseele auf die Frau übergehen soll; doch kennt den keiner im Land. Man gibt als Grund an, daß man mit der Verstümmelung schön im Bogen spucken könne; daß die breiten Zähne nicht schön seien; und daß gelobt werde, wer beim Lachen solche schönen Zähne zeigen könnte. Im Hintergrund schlummert dabei das Bewußtsein, daß der so „Gezierte“ eine Tapferkeit Tapferkeitsprobe bestanden habe, denn geschrien werden durfte bei der Prozedur nicht. Sanga „Zähne verstümmeln“ muß die Grundbedeutung haben „abbrechen von etwas Größerem“; fragt sich nur, für wen? Die Inversivform dieses Verbs ist sangwa „erben“; so ist vielleicht die Annahme nicht abwegig, daß die Zahnverstümmelung ähnlich der Beschneidung, vgl. nachher, eine Gabe an die Ahnen sein wollte.

An Tätowierungen Tätowierungen gibt es deutlich zwei Arten: die farblose, die plastische Punkte erzeugt, ist wohl die ältere; die andere besteht aus blauen Punkten und Strichen; sie ist hauptsächlich in unserem Gebiet im Gebrauch, und zwar eine breitere Form im Süden, eine zierlichere im Norden und die dritte im Kreuzflußgebiet und Nachbarschaft, die vielfach nur aus talergroßen beschnittenen Flächen auf den Schläfen besteht. Ein einfaches Zeichen gilt als Stammesmarke, z. B. bei den Bakwiri ein Punkt auf beiden Wangen und über der Nasenwurzel, bei den Basa ein Stern auf der Stirn, bei den Bakosi ein kleiner Kreis oberhalb der Nase. Daneben aber sind sehr viele Leute überaus reichlich verziert: Gesicht, Brust, Bauch, Rücken, Arme, Waden; und niemand kann leugnen, [daß] diese den Körperformen angepaßte Ornamentik künstlerischen Schwung verrät. Die farbigen Zeichen werden meist mit nasser Asche vorgezeichnet, und, haben sie die Zustimmung des zu Schmückenden gefunden, mit einem ganz kleinen Messer nachgeschnitten, Schnittchen neben Schnittchen. In die kleinen Wunden wird zur Färbung Harzruß gerieben. Mit diesem Schmuck wollte man sich nicht nur unter seinen Leuten auszeichnen, sondern es hieß auch, daß beim Eintritt in den Hades verlacht werde, wer nicht reichlich tätowiert ist.

Beide Eingriffe waren Leistung und Leistungsabzeichen zugleich und bei Junge und Jungfrau als eine Art Tapferkeitszeichen geschätzt.

Auch mancherlei Spiele Spiele wollten Übungen sein, z. B. das Zielwerfen der Waldländer mit gespitzten Palmrippen auf einen Gegenstand; die berittenen Bali übten dies von den Schultern eines Spielgefährten aus. Auch die Einrichtung der mwemba 1. Jahresklassen, 2. Christengemeinde mwemba „Altersklassen“ hatte hier Aufgaben; sie waren zugleich eine Art Arbeitsdienst in den Siedlungen, und die Klassenführer waren zugleich Sprecher und Befehlsempfänger beim Häuptling. Schon in der Jugend übten sie sich in Erfüllung von Aufgaben, die auch im Alter nicht verjährten, z. B. gegenseitiger Schutz, Hilfe in Krankheit und bei Todesfall, eine gewisse Überwachung des Lebenswandels u. ä.

Nicht alle diese Übungen sind wahrhaft gut zu nützlichem Leben gewesen. Wenn aber die Zuchtlosigkeit der heutigen Jugend besonders an Küstenplätzen und in der Nähe der großen Pflanzungen sowohl von den Alten als auch einsichtigen Weißen beklagt wird, kann man nur bedauern, daß die Eingriffe der Kolonialregierung Kolonialregierungen und der europäische Einfluß im allgemeinen diese Einrichtungen zerschlagen hat. Und das englische indirect rule, nach dem der europäische Regierungseinfluß nur unsichtbar wirken soll, hat hier sicher mehr geschadet als genützt. Will das europäische Schulwesen auch manche dieser Einrichtungen ersetzen und stellt [es] auch Anforderungen, so konnte doch nicht verhindert werden, daß unter der Jugend eine gewisse Verweichlichung eintrat, die freilich bei solchen, die ohne

{17a}

[S. 17a wird im folgenden durch S. 17b unterbrochen]

Schulbildung bei Europäern und auf Pflanzungen Arbeit finden, nicht geringer ist.

3. Die Entwicklungsfeste mit ihren Initialweihen

Es ist schon erwähnt, daß beim Übergang von einer körperlichen Entwicklungsstufe in die nächste gewisse geordnete Weihen, vgl. auch Kultbund Weihen, Riten im Leben des Kameruners auszuführen sind. Daß dies eine Art Mysterien Mysterien sind, geht schon daraus hervor, daß ein nganga nganga7 „Mystagoge“ bei den meisten mitwirken muß. Der Ausdruck busa „herauskommen als...“, wenn sich der seitherige Novize zum erstenmal als dem höheren Grad angehörig zeigt, besagt, daß ein solcher im Volksbewußtsein unterschieden wird vom Profanen, Unreinen, Ausgeschlossenen, Nichtanerkannten; irgendein Stück der Kleidung oder Schmuck oder beides gilt als Symbol für den erreichten neuen Stand.

Die Feiern beginnen am Vorabend des ngando8 „Festes“ meist mit einem Opfer an die Ahnen am madale ma madale ma mbando mbando „Beruhigungsstein“, vgl. S. 136, oder mit einer Mitteilung an den Hoffetisch, vgl. S. 137.

Es gibt mancherlei solcher Stufenfeste; die wichtigsten sind:

a. Das Geburt Geburtsfest und das Anlegen der Gelenkschnüre

Es wird meist am neunten Tag nach der Geburt gefeiert, wenn es nicht in mehrere Festchen zerfällt wie bei den Bakosi, vgl. S. 2ff. Die Sippe feiert mit dem Elternpaar und dem Säugling Säugling, alle Anwesenden werden gespeist und beschenkt und beschenken. Es führt zu weit, alle bei den verschiedenen Stämmen üblichen Gebräuche aufzuzählen, im Mittelpunkt steht überall die Reinigung der Geburtshütte, die magische Kräftigung der Mutter und das Aufnehmen des Säuglings in den Stamm. Das Alte soll weggetan werden; die junge Mutter tritt in einen neuen Stand, den der munyangadi „die stillende Mutter“, wörtlich „die Geschrumpfte“. Sie ist für drei Jahre geschlechtlich „tabu“, worüber die Sippenordnung wacht, gewisse Abzeichen wollen sie auch vor anderen Belästigungen schützen, die von der Volksgemeinschaft gerügt werden.

{17b} Bei Beschneidung Beschneidung und Zahnverstümmelung Zahnverstümmelung gibt man an die unsichtbaren Mächte ein persönliches Opfer des Behandelten. Bei dem Geburtsfest oder besser „Menschenweihe“ ebenso, besonders bei den Stämmen, die erst die Burschen beschneiden. Da ist die abgefallene Nabelschnur das Opfer Opfer, z. B. besteht bei den Ninong am Manenguba die Gepflogenheit, die abgefallene Nabelschnur in Öl aufzubewahren. Am Morgen des Geburtsfestes (9 Tage nach der Geburt) ruft die Gehöftälteste die Angehörigen zusammen, auch Vorübergehende können gern dazukommen. Die Alte nimmt nun die Nabelschnur und bestreicht zunächst damit die Herzgrube des Säuglings mit den Worten.

“Kindchen, dieses Glückszeichen hast du uns gebracht,

vergiß uns nicht, wir wollen dich auch nicht vergessen!“

Dann bestreicht sie die Herzgegend des Vaters und der Mutter und spricht dazu:

“Kind, vergiß deines Vaters (deiner Mutter) nicht;

dein Vater (deine Mutter) soll dich auch nicht vergessen!“

Bei den anderen Erwachsenen spricht sie gleich wie bei Vater und Mutter, je nach dem Geschlecht. Bei Geschwistern und anderen Kindern heißt der Spruch:

“Kind, vergiß deines Bruders (deiner Schwester) nicht;

dein Bruder ( [deine] Schwester) soll dich auch nicht vergessen!“

Die Absicht dieser Wünsche ist, das Kind in ein gutes Verhältnis zu den anderen zu setzen, daß sie ihm helfen und daß das Kind auch ein rechter Helfer seiner Mitmenschen werde. Das Ganze soll eine Segenshandlung für das Kind sein auf Lebenszeit.

In einem Körbchen oder [einer] Rindenschachtel bewahrt die Mutter die dem Kind gegebenen Geschenke auf; dazu kommt nun auch die Nabelschnur und bleibt darin, bis sie von Mäusen oder anderem Getier aufgefressen wird. Dies ist dann ein gutes Zeichen, daß die unsichtbaren Geister dies Nabelschnuropfer angenommen haben (pars pro toto) und so das Kind gedeihen sollte.

Wird das Kind aber krank und man nimmt okkulten Einfluß einer Hexe an, so wird bei der Tadelversammlung, vgl. S. 156, die Nabelschnur des Kindes getrocknet, zerrieben, mit Wasser angerührt und von den Anwesenden getrunken.

{17a} Mit diesem Fest verbunden, wenn auch nicht immer zeitlich, ist das Anlegen der Gelenkschnüre (Hand- und Fußgelenke, Hals, Hüfte). Das hat die Bedeutung, daß das Kind nicht mehr ganz nackt ist und ein selbständiges Wesen sein soll, das sich von den anderen unterscheidet. Zugleich aber ist es noch so schwach, daß es geschützt sein muß. Dies geschieht durch Bestreichen mit Rotholz Rotholzfarbe9 und Behängen einer der Schnüre mit einem magischen Mittel. Dieser Zustand des muenge ma muna „pflegebedürftiges Kind“ endigt, wenn die Schnüre von selbst abfallen (sie werden freilich auch erneuert, wenn sie aus irgendeinem Grund zu früh abfallen).

Auch die erste Haarschur, die in diesen Stand fällt, wird in manchen Gegenden festlich begangen. Geburt

b. Das Beschneidungsfest

Die Bedeutung der Beschneidung suchten wir schon vorhin zu ergründen. Vielfach wird die zuständige Jugendgruppe eines Dorfes gemeinsam beschnitten und wohnt dann auch während der Wochen der Heilung in einem Haus für sich. Der operative Eingriff wird meistens am Morgen hinter einem Haus an den zehn- bis fünfzehnjährigen Burschen vollzogen; nur die Bakundu und ihre Nachbarn, auch manche Graslandstämme, beschneiden ihre Säuglinge im Zusammenhang mit dem Geburtsfest. Der Beschneidung kann jeder als Zuschauer {18} beiwohnen, dem nicht eine „Ansteckung“ anhaftet, vgl. S. 4ff.

Das Beschneidungsfest zerfällt in den Tag der Beschneidung und den, da die Beschnittenen nach erfolgter Heilung entlassen werden. Letzterer ist eine Art Mündigkeitsfest; der Beschnittene erhält von seinem Vater eine neue Gewandung und mit seinen Kameraden hält er ein Freudenmahl.

Nirgends wird die abgeschnittene Vorhaut achtlos, sondern überall absichtlich „weggeworfen“; entweder steckt man sie in einen Bananenbusch hinter dem Haus, der dem Beschnittenen dann in besonderer Weise gehört, oder man schießt sie auf einem Pfeil in den Busch, wie es die Bakundu tun. Das Blut Blut wird an der Stelle der Beschneidung begraben.

Was ist der Sinn von diesem wegwerfen „Wegwerfen“? Es ist eine Gabe an die Ahnen oder sonstige unsichtbare Mächte. Sie haben das Kind geschickt, ihnen gibt man von dem Kind etwas zurück als Opfer. Sie sollen das Kind also nicht wieder zurückfordern.

Während der Heilung, die 14 Tage bis 3 Wochen in Anspruch nimmt, darf der Beschnittene mit niemandem außer seinem Pfleger sprechen oder sich viel sehen lassen. Er soll gesichert sein vor solchen, die bei ihrer Beschneidung oder bei der Geburt Schwierigkeiten hatten und die auf ihn gefährlich ansteckend wirken könnten. Speise wird den Beschnittenen von einem noch unschuldigen Mädchen oder einer alten Frau gekocht. Seine Eltern haben sich während des Heilungsprozesses des Beischlafs zu enthalten. Solche geschlechtlichen Erregungen würden auch die Wunden erregen und die Heilung erschweren.

Heilt die Wunde nicht leicht, so ist das ein schlimmes Unglückszeichen, dessen Ursache der nganga auf magische Weise aus dem Körper beseitigen Säugling muß. Beschneidung

c. Das Mannbarkeitsfest Mannbarkeitsfest

Das Mannbarkeistfest war der Abschluß der wochen-, monate-, ja oft jahrelangen Schulungszeit für den führenden Kult, Kultbund (vgl. auch Ahnenkult und Geheimbünde) Kultbund. An diesem Fest zeigten sich die bisher abgeschlossenen Novizen dem Volk, und der Kultbund legte Zeugnis dafür ab, daß sie die gewünschte höhere Lebensstufe erreicht haben. Ein ausgabenreiches Fest zeugte von der Anteilnahme der Sippe. Ein solches Fest benötigte meist lange Vorbereitungen. Je länger sie dauerten, desto länger konnten auch die Novizen aus ihrem unfertigen Zustand der Besessenheit Besessenheit durch die Dämonen nicht gelöst werden. Geringe Leute hätten ein solches Fest überhaupt nicht leisten können. Deshalb warteten sie – wie bei anderen Gelegenheiten, z. B. beim großen Ahnenopferfest, vgl. S. 10ff. – bis ein wohlhabender Vater für seinen Sohn die Vorbereitungen begann. Der Mann mit den geringen Mitteln hatte nun die Gelegenheit, auch seinen Sohn auf die höhere Stufe zu bringen. Diese Gemeinsamkeit trug natürlich mit dazu bei, daß der Riß zwischen arm und reich nicht zu tief wurde und die Jugend zusammenwuchs. Dieses Sichrichten nach dem Vortritt eines Reichen brachte es mit sich, daß die Mitglieder solcher Mannbarkeitsschulen oft ungleich im Alter waren, und da sich in diesen Schulen die sogenannten Altersklassen bildeten, vgl. S. 16, waren auch diese keine absoluten Alterseinteilungen.

Während der Schulungszeit galten die Novizen als in die geheimnisvolle Welt der Geister eingetaucht, sie waren wie die maskierten Tänzer eines Kultbundes nicht mehr sie selbst, sondern von der Geisterwelt, etwa einem Dämon Dämon besessen. Darum waren sie während der Schulung, die sie in abgelegener Hütte im Busch verlebten, mit weißer (der Geister-) Farbe bestrichen, sie durften, wenn sie ihren Schulungsplatz verließen, nur gebückt gehen, erlernten eine Geheimsprache und nahmen einen neuen Name Namen an. Gemeinsame Tänze stärkten das Lebensgefühl für die mystische Welt, und magische Übungen sollten Zauberkräfte wecken. Das Gefühlsleben wurde mehr erregt als die Erkenntnis (oder gar Wissen in unserem Sinn) gefördert. Die neue Daseinsweise mußte nicht gewußt, sondern erlebt, man mußte auch ihrer bewußt werden. Neben diesen mysterischen Übungen fand auch eine Einführung Einführung in das Können, die Fertigkeiten und das Wissen des Stammes (Handwerk, Jagd, Zauber, vgl. auch Magie Zauber, Recht, Verhältnis zum anderen Geschlecht u. a.) statt. Entsprechend dem eben erwähnten Fest für die erwachsende männliche {19} Jugend kann bei den Stämmen auch ein Reifefest für die Jungfrau Jungfrauen und jungen Frauen stattfinden. Entsprechend der weiblichen Seele führte ein Ergriffensein von einem Dämon, das sich in den Entwicklungsjahren oder später als eine Krankheit äußerte, in die Schulung eines Kultbundes; z. B. bei den Bakwiri: djengu10, Balombi: mbongsege, Keaga: mbokondem u. a. Eine solche Besessene zeigte auf den Gesang eines nganga hin an, welcher Dämon sie besessen hat, indem sie in den wilden Busch rennt und dort von Eingeweihten mit List und Tücken eingefangen werden muß. Sie bewohnt dann für sich allein oder mit anderen „Besessenen“ zusammen eine Hütte. Ein nganga und eine ältere Eingeweihte des Bundes waren ihre Führer und Lehrer, während ihre leiblichen Eltern nicht unmittelbar mit ihr verkehren durften. Solche Frauen waren im höchsten Grad tabu. Als ihre Männer bezeichneten sie kleines Getier wie Mäuse u. ä., und wenn sie ein solches Tier tot sahen, stimmten sie die Totenklage an; und ihr Bund nahm jeden in Strafe, der vor den Novizen und Bundesgliedern ein solches Tier tötete. Auch sie wurden bei einem großen Fest als von der Besessenheit befreit und von dem betreffenden Bund für mündig mündig erklärt. Auch solche Frauen hatten eine Geheimsprache zu erlernen und wurden von ihren Lehrerinnen hauptsächlich in das Gebiet des ehelichen Lebens eingeführt. Sittlich gehoben wurden sie in diesen Schulen meistens nicht. Das Reifefest gab sie als heiratsfähig dem gewöhnlichen Leben wieder zurück. Der Satz: „Eine im Kultbund geschulte Frau ist zweimal zu kaufen“, d. h. man muß für sie den doppelten Kaufpreis erlegen, zeigt, daß die Ausgaben für eine solche Schulung nicht gering waren. Die so geschulten Frauen stehen in der Gemeinschaft freilich auch in besonderem Ansehen.

Aus den eben besprochenen Initialschulen bildeten sich eine Art Patenschaft Patenschaft, indem auch nach dem Reifefest, das die Burschen und Jungfrau Jungfrauen wieder dem öffentlichen Leben zurückgab, zwischen den aufgenommenen Bundesmitgliedern und ihren Führern und Lehrern aus der Novizenzeit meist ein Vertrauensverhältnis bestehen blieb. Der junge fühlte sich dem älteren verpflichtet und der ältere dem jüngeren verantwortlich, und gelegentlich kultischer Handlungen konnte später der jüngere den Schatten seines verstorbenen Führers anrufen. Diese Patenschaften dokumentierten die gegenseitige Verantwortung zwischen alter und junger Generation und symbolisierten bei den Eingeborenen hochgeschätzte Freundschaft.

d.  Weihen, vgl. auch Kultbund Schwangerschaft Schwangerschaftsweihen

Die Zeichen der werdenden Mutterschaft werden mit großer Freude in der Sippe begrüßt, denn damit dokumentiert die junge Frau in der Mannessippe ihren Wert. Der Übergangszustand in der Schwangerschaft kann nicht ohne Hilfe des nganga nganga durchlebt werden. Die Weihen bestehen hauptsächlich im Klistier Klistieren11 Verwandt damit ist die Übung, hoffenden Frauen durch starke Brechmittel „die Brüste zu reinigen“.

, das in den ersten und letzten Monaten der Schwangerschaft ausgeführt werden muß. Dadurch soll der Schmutz (Zubehör, Abfall) „Schmutz“ aus dem Körper entfernt und so unter Wegtun der Hinderungen die Vorbedingung für eine gute Entwicklung der Leibesfrucht geschaffen werden. Zugleich werden der Hoffenden die nötigen Verhaltungs- und Enthaltungsmaßregeln gegeben, die alle auf eine leichte gesunde Geburt abzielen. – Besonders die ersten Schwangerschaften werden von der Mutter Mutter oder Schwiegermutter der Hoffenden oder deren obengenannter Führerin überwacht.

Wenn in natürlicher Frist eine Schwangerschaft nicht eintritt, so schreibt man das i. a. der Frauensippe aufs Schuldkonto. Diese wiederum findet leicht einen Grund ihrer Verdrossenheit gegen den in den festgesetzten Leistungen säumigen Schwiegersohn oder gegen die undankbare Tochter. Dies führt dann zu einer Aussprache und Versöhnungsfeier, vgl. S. 156, zwischen der Frauen- und Männersippe, der nach Anrufen der Ahnen der Frauensippe eine mit magischem Brauchtum verknüpfte Anwünschung der Geburtsfähigkeit an die Tochter durch ihren Vater oder Sippenältesten erfolgt. Diese Weihe schließt wie andere mit einem Gemeinschaftsmahl zwischen den Ahnenschatten und den beiden Parteien auf Erden. Nach allgemeiner Ansicht der Kameruner tritt dann Schwangerschaft ein, „wenn Gott hilft“. Schwangerschaft

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4. Die Bedeutung der Leiden in den Kult, Kultbund (vgl. auch Ahnenkult und Geheimbünde) Kultbünden

Als höchstes Leiden erscheint dem Kameruner der Durchgang durchs Todestal oder kamerunisch ausgedrückt: Das Beschreiten des Totenweg Totenweges. Nicht daß er damit einem dem irdischen Dasein vorzuziehenden Stand erhält, aber er geht nolens-volens ein in die übersinnliche Welt. Wer eine höhere Lebensstufe durch Mysterien Mysterienkulte erlangen will, muß dem Alten absterben, um dem Neuen geboren zu werden; durch magischen Tod hinnieden dringt man vor in die Welt des ndimsi ndimsi „Geheimnisvollen, Übersinnlichen, dem, was für irdische Augen Dunkelheit ist“. Dieser Gedanke liegt den entsprechenden Riten zugrunde, besonders aber denen der Kult- oder Geheimbünde. Kommt es auch nicht bei allen Riten zu einem mystischen Sterben, mit irgendwelchen Einschränkungen, Zurückhaltungen, Leiden sind doch alle Durchgangsriten verbunden. Dafür nur einige Beispiele:

Es mutet als Burleszeug [= burleskes Zeug] an, wenn der nganga-Lehrling seinem Meister neun neunmal zwischen den Beinen durchschlupfen muß, bevor er als selbständig erklärt werden kann. Da ein solcher Lehrling meist aber bereits zwischen 30 und 40 Jahren alt geworden ist, hat dieses sich Erniedrigen doch wohl tiefere symbolische Bedeutung.

Leichter wird der tiefere Sinn erkannt, wenn bei Beförderung von Mitgliedern des ngue, Kultbund der Bakosi ngue-Bundes (Bakosi) in die höchste Stufe des angesehenen Friedensrichters die Anwärter a e’bale12 „auf dem Dreibein“ sterben müssen. Am Abend vor der öffentlichen Darstellung werden sie von einer Anzahl Eingeweihter auf den Gerichtsrasen vor dem Dorf geführt, wo Eingeweihte und Novizen einen kultischen Tanz aufführen. Nachdem ihm die Kleider ausgezogen sind, muß sich der erste Novize auf die e’bale legen. Der Vorsitzende eröffnet ihm, daß er nun die Augen schließen und sterben müsse.

Die anderen tanzen singend um die „Sterbenden“ herum, und bald ruft die Sprechtrommel durch den nächtlichen Wald in das lauschende Dorf hinein: „Der Soundso ist gestorben!“ und zwar in der gleichen Weise wie bei einem wirklichen Todesfall. Er wird dann mit Laub, Erde und anderem zugedeckt, also auch beerdigt. Und so stirbt ein Anwärter nach dem anderen und wird beerdigt, doch nur, um zu höherem Leben wieder zu erwachen. Dafür schaffen die kultischen Tänze der Eingeweihten die magische Kraft. Später schlägt der Leiter mit einem Bananenstrunk den Boden und ruft die „Gestorbenen“ zu neuem Leben. Sie schütteln ihre feuchte Decke von sich und die Maskenkleidung wird ihnen angezogen. Dann ordnen sich die Alten und Neulinge zum Zuge und ziehen, der Leiter voraus, gefolgt von den Neulingen, dann den Alten unter Trommelschlag auf den Tanzplatz im Dorf, wo die Menge erregt wartet. In ihrem Kostüm führen die „Neugeborenen“ einen kultischen Tanz auf. Sie gelten nun im Stamm als besonders angesehen, werden am anderen Tag dem Volk vorgestellt; sie sind jetzt Glieder der primitiven Administration und können bei Gerichtsverhandlungen sprechen, auch in anderen Ortschaften; denn das ist neben Anderem die Aufgabe derer, die diese Stufe im ngue, Kultbund der Bakosi ngue-Kultbund erreicht haben.

Den an freies Leben Gewöhnten erscheint es sicherlich als Leiden13, wenn sie, um an den Einführungsriten der Jungmannschaft teilzunehmen, anderthalb bis zwei Jahre unter allerlei Entbehrungen und Übungen als Dämonenbesessene in einer Hütte leben und das öffentliche Leben meiden müssen. Statt vieler Einzelheiten nur das eine, daß die Novizinnen des lisua‑Bundes bei den Bakwiri ihr Nachtlager unter der Hühnerstange aufschlagen müssen; der nächtens auf sie fallende Hühnerdreck soll zu ihrer „Gesundung“ nötig sein.

5.  Unglückskinder Unglückskinder

Die Behandlung der Kinder, die bei der Geburt eine Abnormalität zeigen, oder bei denen später eine solche hervortritt, z. B. mit sechsten Fingern oder mit Zähnen oder in Steißlage geboren oder bei denen die Oberzähne zuerst durchbrechen, auch Zwillingsgeburten, ist bei den einzelnen kameruner Stämmen verschieden. Bei den einen werden sie umgebracht (was zum Glück immer mehr zurückgeht), bei anderen werden sie geduldet, bei {21} anderen läßt man sie eingehen, besonders wenn ihre Aufzucht mit besonderen Mühen verknüpft ist. Kinder, deren Mütter bei der Geburt oder bald danach starben, wurden allgemein mit der Mutter begraben, nachdem man ihnen den Schädel Schädel eingedrückt [hatte]. Alle diese Abnormalitäten waren bedim „schlimme Unglückszeichen“, vgl. S. 135, und eine Gefahr für die Umgebung. Mit der Beseitigung des Zeichens glaubte man auch die Gefahr zu beseitigen. Auch wo voreheliche Kinder umgebracht wurden, mag der Grund darin gelegen haben, daß die Eltern noch nicht alle vor der Ehe Ehe zu durchlaufenden Riten geübt hatten, so daß auch das Kind nicht Glück für die Gruppe bedeuten könnte. Daß man im vorderen Kamerun fast allgemein, im Hinterland bei manchen Stämmen von dieser rauhen Sitte immer mehr abkam, mag neben anderem durch die große Sterblichkeit verursacht sein, die das Land so dünn besiedelt sein läßt14.

Die Meinung muß geherrscht haben, daß beim Werden dieser Kinder ein Versehen unterlaufen sei, so daß sie abnorm zur Welt kamen: Die Eltern standen etwa nicht unter dem Schutz der Sippenordnung, oder eine feindliche Macht hatte ihre Hand im Spiel.

Auch wo einer Frau die Kinder bald nach der Geburt immer wieder wegsterben, was verhältnismäßig häufig vorkommt, vermutet man Machinationen in der unsichtbaren Welt als Ursache. Etwa: Die „Schatten“ wollen eine solche Sippe foppen und senden ihr deshalb immer wieder das gleiche Kind, das bald wieder stirbt. Oder ein solches Kind selbst treibt den Schabernack mit der Frau. Man macht daher solchen Kinderleichen irgendein Zeichen an Ohr oder Finger, damit man es erkenne, wenn es wiederkommt, und kann es dann ohne Pflege lassen, weil es ja doch bald wieder geht. Bleibt aber nach verschiedenen solcher Todesfälle ein Kind am Leben, so gibt man ihm einen dina la tete „unnützen Name Namen“, d. h. einen irreführenden Namen, durch den man die Mächte der unsinnlichen Welt täuschen will, z. B. Moto „Mensch“, d. h. irgendeiner, so daß man in der Geisterwelt nicht weiß, wer gerufen ist, oder Dibue „Abgebrochener“, Ngene „Nichtsnutz“ u. a. – Einer meiner Lehrer war auch ein solches Kind; er trägt das Abzeichen, das man ihm sogar vor seinem Tod schon ans Ohr geschnitten hat, zeitlebens herum und hat den irreführenden Name Namen Edimo „Schattengeist“.

Bei buckeligen Kinder[n] sagt man: Der Schöpfer hat sie kurz vor Sonnenaufgang gemacht und sich geeilt, um nicht von der Sonne überrascht zu werden. Da ist ihm das Kind leider aus der Hand gerutscht und ist nun zusammengestaucht.

Wo man solche Gebrechen auf den Schöpfer zurückführt, weist man die Verspötter solcher Kinder zurecht und sagt: Verspottest du es, so verspottest du auch seinen Schöpfer, und der wird darein sehen.

6. Das Geschlechtsleben Geschlechtsleben

kann hier nicht im einzelnen behandelt werden. Allgemein schreibt man den Schwarzen viel Sinnlichkeit zu und manche nehmen an, daß das Sichausleben auf diesem Gebiet sie in ihrer geistigen Entwicklung Entwicklung zurückhalte und sie früh verdumme.

Dem gegenüber ist aber doch auch darauf hinzuweisen, daß die Sippenordnung dem Kameruner zeitweilig Enthaltsamkeitsgebot Enthaltsamkeit vorschreibt, daß also auch das sexuelle Leben unter der Aufsicht der Sippe steht., wie auch an manchen Stellen in diesem Buche gezeigt wird. Bräuche bei der Verlobung und Eheschließung, auch während der Ehe und die Unterscheidung zwischen vor dem Volksgewissen zu Recht bestehenden Eheformen, zwischen Ehebruch und Unzucht, das alte Urteil über uneheliche Kinder und die Schande, die früher Mädchen und mit ihnen ihre Sippen traf, die die von der Sitte gezogene Schranke mißachteten, die Strafmarkierung, die man manchem Verführer gab, die schweren Strafen, die auf Vergewaltigung und Verführung ruhten, das Lob der Mädchen, die [der] Verführung erfolgreich widerstanden, und der Jungfrauen, die unangetastet in die Ehe kamen, zeigen doch, wie das von den Alten überkommene Gesetz eine bewahrende und sittigende Macht sein sollte und vielfach auch war. Daß es heute bedauerlicherweise diese Kraft nicht mehr hat, fällt mindestens ebenso dem weißen Mann zur Last, wie dem Fleischessinn der Kame- {22} runer.

Mancher christliche Arbeiter in den Pflanzungen oder Dienstbote an der Küste hält sich, oft jahrelang getrennt von Weib und Kind, trotz Versuchungen in diesem Punkt ohne Tadel und straft die Behauptungen Lügen, der Neger könne überhaupt nicht anders. Und ob es immer aus der Luft gegriffene böswillige Verleumdung ist, wenn der schwarze Kameruner in seinen Behauptungen und Klagen oft den Spieß in diesem Stück umkehrt?

Auch dies muß der, der in kameruner Volksleben wirklich hineingesehen [hat], berichten und betonen. Geschlechtsleben

7. Beurteilung des Vorstehenden

Die die Entwicklungsstufen des Menschenlebens begrenzenden Feste und Weihen, vgl. auch Kultbund Weihen sind für das Leben der Gruppe und des Stammes wichtig. Sie wurden früher mindestens teilweise von den Kultbünden überwacht, standen also unter oft starkem Zwang. Dieser Zwang ist heute durch die Freizügigkeit Freizügigkeit gebrochen.

Aber noch lebt das Gefühl für die Notwendigkeit dieser Riten oder christlichen Ersatz dafür in den Dörfern. Wer nicht mitfeiert ohne Christ zu sein, den trifft der Vorwurf: Willst du uns denn umbringen? Wo sich christliche Sitte etwas durchgesetzt hat, erhebt man diese Anklage gegen Christen nicht, weil man weithin weiß, daß die christliche Sittlichkeit Sittlichkeit das Gute in der Überlieferung der Alten nicht brechen, sondern stärken will. Wie mancher abtrünnige Christ hat von den heidnischen Dorfältesten schon den Vorwurf gehört: Wir hatten geglaubt, ihr wolltet unserer Siedlung einen neuen Anstoß zu guter Sitte geben; aber ihr seid, scheint’s, nicht besser als alle!

In der Anfangszeit einer kleinen Christengemeinde und später noch in einzelnen Verhältnissen entsteht sehr leicht und bald eine Spannung; die in ihrer noch heidnischen Sippe als Christen leben, wollen und können bei vielen Riten um des christlichen Gewissen Gewissens willen nicht mitmachen. Und diese ihre Ablehnung ruft oft den Tadel der Sippe [hervor], daß sie die seitherige Gemeinschaft bedrohen. Bei vielen dieser Riten finden aber Dinge statt, die auch den Heiden sonst im Leben als höchst unanständig gelten, z. B. daß die jungen Novizen der ersten Stufe im ngue-Bund unter ihren Schwestern und Mütter ganz nackt „tanzen“ müssen u. a., auch Dinge, die wirklich Sünde sind, so daß ein Christ bei Teilnahme daran seinen Glauben verleugnet. Viele Tänze und Handlungen sind mit unanständigen Übungen verknüpft und ziehen gerade durch ihre Vereinigung von religiösen Formen mit zügellosem Geschlechtsleben nicht nur ungefestigte Gemüter dämonenhaft an, wenn nicht gar die Teilnahme erzwungen wird. Was sollen z. B. die jungen Christinnen im kameruner Grasland machen, wenn die erste Klagenacht nach dem Tod eines großen Häuptlings zugleich auch eine gebotene Freinacht ist, wo also das von der Sitte gefordert wird, was sie selbst sonst, im normalen Leben, unter Strafe stellt?

C. Die Leiche Leiche

1. Lebende verunreinigen sich durch Berührung von Leichen

Wer die Beerdigungsgebräuche, vgl. Kapitel A. 2, und die ihnen zugrunde liegenden Vorstellungen beachtet, merkt, daß aus ihnen die Erkenntnis des Kameruners dunkel spricht, daß Sterben für den Menschen Unnatur und sein Leib ein Todesleib ist. Wie diese Erkenntnis kam, weiß man nicht; aber man sinnt darüber, wie die Erneuerung des alternden Leibes gedacht war, etwa daß man die gealterte Haut ablegt und sich durch Anlegen einer neuen Haut verjüngt. Warum es aber anders geworden und der Tod Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, wollen die S. 35ff. und S. 145ff. berichteten Überlieferungen darstellen.

Diese Berichte zeugen auch dafür, daß der Kameruner des Todes Unnatur empfindet und sich fürchtet vor Ansteckungen durch den Tod. Darum meidet man das Chamäleon Chamäleon, den Todesboten, vgl. S. 35. Diese Tatsache hat wohl zu den Reinigung, rituelle Reinigungsgebräuchen und Sühneriten geführt, die wir im ganzen Land treffen; etwa den Brauch, daß sich nach einem Todesfall die ganze Familie, oder {23} doch die Totengräber Totengräber in fließendem Wasser zeremoniell waschen und sich das Haar schneiden lassen, oder die allgemeine Rite, besonders der Witwen, sich durch Speichelhauchopfer den abgeschiedenen „Schatten“ fernzuhalten und den Toten nur am frühen Morgen zu wehklagen wehklagen. Oder wenn Kinder gemahnt werden, solange der Leichnam noch nicht beerdigt ist, sich nicht in Türeingängen oder auf Wegen aufzuhalten, wo sie der Tod leicht als Beute wegführen kann. Dies alles und anderes zeigt doch die kameruner Anschauung, daß der Tod die Leiche als Medium Medium gebrauchen kann, seine verderbliche Macht auch auf andere auszudehnen. Jedenfalls ist die Leiche als machtgeladen gedacht, sie „lebt“ noch. Darum bringt man den Leichnam in sitzender Stellung in den Hof, schüttet ihm Palmwein ein, stellt Gaben vor ihn hin und tanzt vor ihm, als ob er noch lebend zuschauen könnte. Freunde kommen und verabschieden sich von ihm, vermummte Kultbundleute machen ihm ihre Aufwartung. Die Witwen halten Zwiegespräche mit ihm, gelegentlich legen oder setzen sie sich neben ihn oder nehmen des Toten Kopf in den Schoß, als sei er nur krank und schwach und nicht tot. – Ist die Leiche in das Grab Grab gelegt, so gibt man ihr beruhigende Mittel mit, damit sie schlafe und nicht wieder ausgehe. Waffen und ähnliches kommt nicht in das Grab; das müßte zur Rückkehr zum Kampf auf Erden reizen, wo man doch alles mögliche tut, um gerade diese Rückkehr zu verhindern. Schüttet man flüssige Opfer in das Spundloch des Grabes, so hat das doch nur einen Sinn, wenn der Tote sie zu sich nehmen kann, er also noch lebt.

In den Märchen Märchen, die vom Hades handeln und von denen eines diesem Abschnitt folgt, kann ein Lebender von dort nicht mehr zurückkehren, wenn er Geisterspeise genossen und sich so den Tod angegessen hat. Und die von dort zurückkehren wollen in die Lebenswelt, müssen gewisse Handlungen vornehmen oder sie müssen an ihnen vorgenommen werden, damit sie ja nicht den Tod mit sich auf die Erde bringen, vgl. S. 24b ff.

Noch mehr als der tote Sippenangehörige übt eine unbekannte Leiche eine mystische Macht auf die Lebenden aus. Man weiß ja nicht, wie man sich an ihr magisch „anstecken“ kann. Man hütet sich sehr, sie zu berühren; muß man aber an ihr vorbeigehen, so wirft man ein Blatt auf sie und spricht: Wir beiden haben nichts miteinander zu tun! Werden aber Berührungen nötig, so sind um so wichtigere und darum auch kostspieligere Reinigungsriten auszuführen. Darum läßt man auch einen toten Fremden lieber im Busch unbeerdigt liegen, um die Ausgaben für die kultische Reinigung zu sparen. – In manchen Stämmen ist die Furcht so groß, daß, wer nur die Meldung in die Siedlung bringt, er habe im Wald einen fremden Leichnam liegen sehen, schon eine Volksversammlung zur Untersuchung dieses Falles einberufen lassen muß, damit er sich reinigen lassen kann von dem Verdacht, er selbst habe den Mord, Mörder Mord begangen oder sich sonst an der Leiche einen Bann Bann aufgeladen, wodurch er auch die ganze Gruppe in magische Gefahr gebracht hätte.

Ja sogar wer oder was auf den Geisterkultplatz gefallen, ist den Schatten verfallen und muß zur Vermeidung späteren Unheils gelöst werden. Reinigung, rituelle

2. Die Leiche im Dienste der Zauber, vgl. auch Magie Zauberei

Schreibt man der Leiche solche Kräfte zu, dann sucht sie der Primitive sich auch dienstbar zu machen. Man wünscht in den Besitz der Leichen oder Leichenteile der Feinde zu kommen, denn hat man ein Stück von ihnen, so hat man Macht über sie alle. Beim Kampf Zintgraf-Bali gegen die Bandö wurden von den mit den Letzteren verbündeten Bafut vier Europäer überfallen, getötet und ihrer Köpfe beraubt. Erst nach Jahren gelang es dem Missionar Keller, die Bafut zur Herausgabe der Köpfe zu bewegen, die sie nicht nur als Trophäen, sondern als Machtmittel aufbewahrt hatten. – Noch heute bewahrt der alte Bangwa-Häuptling in Fontem die Schädel Schädel seiner Vorfahren in einer Rindenschachtel auf, um von ihnen Orakel zu bekommen. Kamen die Poala-Leute zum Tanz nach Nkag (beides Ortschaften auf dem Manenguba) und sie sollten geärgert werden, so holten die Nkag-Leute einen einem Poala-Krieger abgeschlagenen Arm, und die Poala zogen verärgert davon. – Die Macht des Häuptlings einer Esam-Gruppe in Bakosi beruhte auf den um seine Hütte aufgestellten Menschenköpfen. – Beim Friedensschluß zwischen zwei Stäm-

{24a}

[die S. 24a wird im Folgenden durch die S. 24b – d unterbrochen]

men wurde ein Sklave oder sonst ein Fremder lebendig verbrannt, die Asche in Bündeln gesammelt und diese den Großsippen dieser Stämme gegeben, die sie in ihrem Kulthaus aufbewahrten. Ein solcher vom Tod besiegelter Bund durfte nicht gebrochen werden. – Knochen Menschenknochen, besonders solche von Albinos, stehen hoch im Wert. Sie werden als Medizin zerschabt und gegessen oder in Flüssigkeiten getrunken. – Ist einer des Mordes verdächtigt, leugnet ihn aber, so nimmt man Schmutz (Zubehör, Abfall) „Schmutz“ von der Leiche, d. h. Mundwasser, Todesschweiß, Nägel (zerrieben) u. ä. und läßt es den Beschuldigten trinken. Stirbt er dann, so ist er schuldig; dem Unschuldigen tut es nichts. Auch sonst gebraucht man Leichensaft als Gift, um Feinde zu beseitigen. – Anfang 1915 wurde bei den Age eine deutsche Patrouille umgebracht und aufgefressen, um der Haut des weißen Unteroffiziers habhaft zu werden, in der man dann kultische Tänze aufführte. – Schenkelknochen von Menschen, Gorilla und Schimpansen legt man kleinen Kindern in das Badewasser, damit sie kräftig werden, und auch Erwachsene bestreichen sich mit solchen Knochen zur Erfrischung die müden Glieder. Kleinere Knochen und Zähne von Leoparden, Wildschweinen, Hunden legt man als Amulette an Hals oder Hüften.

Die Schilderung könnte fortgesetzt werden, um zu zeigen, auf welch bestialische Grausamkeit Menschen verfallen in ihrem gläubigen Bestreben, sich mystische Kräfte der Leiche und der Leichensubstanz anzueignen oder zu Tod gebrauchen. Leiche

{24b}

3. Der Jäger im Hades Hades

Es war einmal ein Jäger ausgegangen, um Wildbret zu erlegen. Er durchstreifte den ganzen Wald, fand aber nichts. Zuletzt aber stieß er schließlich doch noch auf frische Wildspuren. Da zog er sein Zauberfläschlein15 aus der Jagdtasche und tröpfelte von dem Mittel darin auf die Spuren. Als er noch sein Sprüchlein dazu gesagt hatte, versteckte er sich. Es verging nur ganz wenig Zeit, da sah er auch schon eine Schirrantilope daherkommen. Rasch legte er sein Gewehr an und schoß auf den stolzen Bock. Aber der Schuß saß nicht recht und der Bock sprang davon; der Jäger aber hinterher, bis er noch einmal zum Schuß kam und dann die Antilope auch niederstreckte. Er nahm das schöne Stück auf den Rücken und kehrte mit ihm zu der kleinen Hütte zurück, die er sich im Wald gebaut hatte, und zerlegte dort das Tier.

Als sich dann gegen Abend der Tag neigte, da hörte er jemand deutlich seinem verstorbenen Bruder rufen: „Du, Lyonga, Lyonga!“ Und der andere antwortete: „Ja, da bin ich“. Der Rufer fragte: „Hast du denn alle deine Ziegen und Schafe ins Haus eingelassen?“ Und der zweite antwortete wieder: „Ei, da lasse mich doch nur einmal erst nachsehen!“ Und nach einer kurzen Weile fuhr er fort: „Ja, mein sämtliches Vieh ist eingebracht“. Dann hub der erste wieder an und sagte: „Bruder, du kennst ja doch mein junges Böckchen, das den Flecken auf der Stirn hat und dessen ganzer Körper weiß gefleckt ist (die Schirrantilope, die der Jäger gegen Abend erst geschossen hatte, war geradeso gezeichnet), das sehe ich nicht mehr. Ob wohl der Kerl, der heute so mit der Flinte geknallt hat, es geschossen hat? Ich weiß nicht. Wenn diese Burschen in den Wald daher kommen, da verschwindet unser Vieh16 eines nach dem andern!“ So klagte er seinem Bruder seine Not und rief mit lauter Stimme nach seinem verschwundenen Geißbock und als er ihn darauf nicht meckern hörte, ging er enttäuscht heim.

Diese heimliche Zwiesprache im tiefen Wald versetzte unseren Jäger in Schrecken; das Herz war ihm nicht mehr im Leibe und er dachte: Vielleicht werden ihn in der Nacht diese „Schatten“, die er an der Stimme als Verstorbene aus seinem Heimatdorf erkannt hatte, in seiner kleinen Jägerhütte überfallen und töten. So zündete er sich ein Feuerchen an, hielt sich wach und verbrachte die Nacht in ziemlicher Bänglichkeit.

Als der Tag graute, sagte er sich, daß er wohl heute in sein Dorf zurückkehren müsse; doch ehe er ging, wollte er nochmals den Wald durchstreifen, um vielleicht noch ein Tier zu ergattern, bevor er heimkehre. Mit diesen Gedanken ging er nun in den Wald, aber wiederum sah er nichts, obwohl er den Wald nach allen Seiten hin durchwanderte; die Gegend war eine Stille. Der Tag war nun im Begriff, sich zu neigen und er kehrte enttäuscht nach seiner Jägerhütte zurück. Wie er nun unterwegs seine Augen am Boden schweifen ließ, da gewahrte er beim Gehen eine andere Schirrantilope unter einem Baum grasen. Sofort legte er wieder sein Gewehr an und schoß auf das Tier. Das fiel sofort um und streckte die Beine weg. Schnell sprang er hin, um es vollends zu töten; aber sofort sprang das Tier auf und rannte davon. Er aber verfolgte es ohne Nachlassen; das Blut, das aus der Antilope Wunde tropfte, zeigte ihm den Weg. Auf einmal kam er an eine Stelle, {24c} wo ein buschiger Zweig über den Weg gelegt war als ein Zeichen, daß er hier nicht weiter gehen solle17.

Er achtete aber weiter nicht auf das Warnungszeichen, sprang darüber und eilte der Schirrantilope immer weiter nach, wie ihm die Blutspur den Weg zeigte. Aber mitten in seinem heftigen Verfolgen stand er auf einmal und unerwartet am Eingang einer Siedlung, auf einem Hof, der dort lag. Da fuhr es ihm doch in die Glieder, denn er wußte nicht recht, was er machen solle; und er stellte sich ganz leise unter einen Baum, der an des Hofes Rand grünte und wartete. Da hörte er auch schon ein Geschrei auf dem nämlichen Hof: „Ei, ei, was ist auch das! Wer hätte mir heute fast schon wieder eine Ziege weggeschossen! Schau doch nur mal, wie ihr das Blut vom Körper rinnt!“ Und der Jäger unter dem Baum erkannte den, der also sprach, sofort an der Stimme als seinen mütterlichen Oheim, der vor kurzem erst gestorben war. Da nahm er allen Mut in sich zusammen und sagte: Einmal muß ein Mann doch sterben18, und schlich unter dem Baum hervor in den Hof. Als er so sichtbar wurde und die Kinder ihn erblickten, da stoben sie vor Schreck nur so auseinander. Aber ein junger Bursche kam heraus, ging auf den Jäger zu und fragte ihn, woher er komme und was und wohin er wolle. Nachdem er ihm Bescheid gesagt [hatte], folgte er dem Frager unter eine Linde, die als Schattenbaum im Hof stand und unter welcher sich die Sippenvorsteher und Dorfältesten abends zu versammeln pflegten. Unter den Anwesenden war auch sein Onkel, der ihn sofort erkannte, wie auch er ihn erkannte; schnell senkte er den Blick, damit niemand eine Veränderung im Gesicht merken sollte.

Sie ließen ihn Platz nehmen und begannen ihn dann zu fragen: „Bist du der, der uns immer wieder beunruhigt? Wir hören hier immer und immer wieder einen Gewehrschuß fallen und jedesmal ist daraufhin eines unserer Schafe, Ziegen, Rinder oder Schweine verschwunden. Bist etwa du es, der uns um dies unser Vieh bringt?“ Und sie beschlossen unter sich, daß sie ihn bei sich zurückhalten und nicht mehr zu den Lebenden kommen lassen wollen. Sie wollten ihm eine Mahlzeit zurichten, daß er sie verzehre; denn wenn einer einmal etwas von den Schattengeistern gegessen, kann er nicht mehr unter die Lebendigen zurückkehren.

So kochten sie ihm nun eine Speise; aber zur Essenszeit stellte sich sein Oheim bei ihm ein und raunte ihm zu, doch ja nichts von dem Gekochten zu genießen, er sollte es den Hunden im Haus geben. Er aber solle sich etwas Öl oder Tunke an die Lippen schmieren, damit wenn einer komme und nachsehe, er meine, er habe wirklich die Speise gekostet. So befolgte er den guten Rat seines Onkels, er selbst aß nichts, sondern ließ die Hunde das Essen aufschnappen. Als die Hunde alles aufgefressen hatten, nahm der Jäger Wasser in den Mund und spülte ihn aus wie einer, der gegessen hat. Später kam sein Onkel wieder und fragte ihn, ob er es so gemacht, wie er [es] ihm anbefohlen [hatte]? Und er konnte das bejahen.

Die Dorfältesten setzten dann noch den Tag fest, an dem sie ihm den Geruch der Lebendigen19 wegnehmen wollten, um ihn einem Verstorbenen gleich zu machen. Aber am Abend vor diesem Tag ging sein Onkel mit ihm hinters Haus, gab ihm sein Gewehr zurück und sagte ihm: „So nun gehst du weg; aber erzähle ja diese Ge-

{24d}

[Notizen am linken Blattrand, nicht zuzuordnen:] Wir Toten sind nicht tot: Ich gehe mit! Unsichtbar bin ich nur, unhörbar ist mein Schritt Gorch Fock.]

schichte nirgends, denn erzählst du, daß du uns gesehen hast, so mußt du alsbald sterben; sage halt den Leuten, du seist im Wald verirrt gewesen. Dein Traggerüst für das Fleisch, daß du in deiner Jagdhütte gelassen [hast], wirst du auf deinem Nachhauseweg finden.“

Da gab ihm der Onkel einen rechten Schubs und alsbald sah sich der Jäger hinter seinem Haus in der menschlichen Siedlung stehen und sein Traggerüst mit dem Fleisch lag vor ihm. Und er legte es auf seine Schulter und ging mit ihm ins Haus.

Als ihn seine Angehörigen wieder sahen, frohlockten sie und riefen: „Da ist er wieder! Da ist er wieder!“ Und die Leute kamen in dichten Haufen zusammen und fragten ihn, wo er denn solange gesteckt habe. Er aber suchte sie glauben zu machen, er habe sich im Walde verirrt und lange den Rückweg nicht wieder finden können. Aber die Leute wollten ihm das doch nicht glauben, denn sie hatten ihn im ganzen Wald gesucht.

Da nahm ihn seine Frau für sich allein, fragte ihn und sagte: „Ich merke, du liebst mich gar nicht; warum magst du mir denn nicht sagen, wo du dich im Wald aufgehalten hast?“ Da erzählte der Jäger seiner Frau alles, eines nach dem andern, wie es ihm in dem Wald ergangen war. Zum Schluß aber schärfte er ihr auch ein, daß sie ja gar niemand etwas von dieser Sache erzähle. Aber die Frau erzählte es heimlich ihrem Vater, der auch ein Jäger war. Er erfuhr alles, was ihr Mann im Wald erlebt [hatte], und auch, daß die Schattengeister all das Wild des Waldes als Vieh besitzen. Bald war nun dieses Erlebnis des Jägers kein Geheimnis mehr, denn die ganze Siedlung hörte davon.

Darum versammelten sich eines Tages die Sippenältesten des Dorfes, um von ihm persönlich die Geschichte zu hören. Obwohl er sich zunächst strikt weigerte, etwas davon bekannt zu geben, übermochten sie ihn doch zuletzt und er erzählte ihnen alles ausführlich. Als er aber damit zu Ende war, da rief er laut aus: „Da ich nun daran bin zu sterben, so sage ich euch frei heraus, daß meine Frau die ist, die mich zu Tode gebracht; denn ihr allein hatte ich die Sache heimlich und im Vertrauen berichtet und sie gebeten, sie für sich selbst zu behalten. Und nun ist die Geschichte in aller Öffentlichkeit bekannt geworden. Darum sage ich: Es ist einem Manne nicht gut, wenn er seinem Weibe vertraut.“ Kaum hatte er das gesagt, da fiel er um und war tot.

So glaubt man nun bis zum heutigen Tage, daß alles Wild des Waldes Vieh und Haustiere der Schattengeister sind. Hades

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D. Was sagt der Missionar zu dem Geheimnis der Leiblichkeit

Ist der Geist der in den Stämmen waltenden Ordnung, primitive [Organisation] Ordnungen die Naturgrundlage, auf der das christliche Gemeindegewissen ruhen muß, so ist es Aufgabe des Missionars, aus dem herkömmlichen Leben des Stammes das herauszuarbeiten und in seiner Verkündigung zu betonen, was mit dem übereinstimmt, was Gottes Geist uns über den Leib und seine Bestimmung erkennen läßt, und daneben zu zeugen gegen das, was mit dem Geist Jesu Christi unvereinbar ist, und dies für die Gemeinde abzulehnen. Es ist wohl nicht nötig, nach den Vorhergehenden dies im einzelnen aufzuzeigen.

Nach der Schrift soll unser Leib Leib eine Behausung von Gottes Geist und ein Werkzeug zur Erfüllung von Gottes Willen sein oder werden. Der dazu nötige Weg wird von Verachtung wie von materieller Überschätzung oder Alleinanerkennung des Leibeslebens gleich weit entfernt sein.

Durch den Sündenfall Sündenfall ist auch des Menschen Leib vom rechten Ziel abgewichen, nichts an ihm ist so geblieben, wie es bestimmt war. Darum ist eine Erneuerung nötig und zwar nach dem Gesetz: Stirb und Werde! Nur so kann der Leib seiner ursprünglichen Bestimmung wieder zugeführt werden. Das sind die biblischen Gedanken über unseren Leib. Sie können sicherlich dem Eingeborenen nach dem, was seither sein Denken und Trachten erfüllt hat, verständlich gemacht werden. Denn auch sein Gesetz und seine Sitte waren bei allem Betrug und Selbstbetrug, der in den Gebräuchen geübt wird, ein Schatten des, das kommen soll.

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Fußnoten:

1 Vgl. Note 1 auf S. 17a.
2 Darum darf man sie auch nicht in ein anderes Dorf bringen.
3 Entwickelt sich ein Einzelsäugling nicht recht, so ist er mit seinem im Himmel zurückgebliebenen Zwillingsbruder noch mit einer magischen Schnur verbunden. Gelingt es einem nganga nicht, diese zu durchschneiden, so zieht der obere Bruder das kränkelnde Kind wieder in den Himmel zurück.
4 Die Bakosi führen einzellige Zwillinge auf den Umstand zurück, daß die Mutter während der ersten Schwangerschaftsmonate auf dem Rücken liegend schlief und sich so „ihr Blut spaltete“, so daß sich zwei Kinder bildeten.
5 Gewisse Menschen gehen nicht in den Hades; es sind das die, welchen die Totengebräuche nicht gemacht werden können, z. B. die in der Fremde Sterbenden. Aber auch die, welche offenbar in „Gefahrenzustand“ stehen; vgl. S. 39; wer z. B eines blutigen Todes starb, wer von einem Machtmittel „ergriffen“ worden ist, z. B. die am Ordal Gestorbenen, oder Wassersüchtige u. ä. Sie wurden wie die Albino nicht beerdigt, sondern blieben über der Erde und man brachte sie in Verbindung mit dem Himmel.
6 Vgl. Note S. 40.
7 Von *kanga ist gebildet nganga (Bakwiri u. a.), ngang (Duala u. a.) „der Wissende, Zauberkräftige, Mystagoge“, und bwanga „die magische Kraft und das mit ihr geladene Mittel“, vgl. S. 136ff.
8 Ngando nicht nur der einzelne „Tanz“, sondern die ganze „Feier“ oder „Fest“, in dem der Tanz als kultisches Mittel nur ein Teil ist.
9 Dieser Holzmehlbrei macht, mit Öl vermischt, die Haut geschmeidig und verhütet die als krokro bekannten „eitrigen Hautschrunden“, Duala: bekako.
10 Vgl. auch S. 157ff. Volljährigkeitserklärung im Grasland: Wenn ein Junge herangewachsen ist, ruft sein Vater die männlichen Hausgenossen und Nachbarn zusammen. Ein Huhn wird geschlachtet, dessen Blut über den Ahnenopferstein läuft. Das Herz wird herausgenommen, mit zerkautem scharfem Ingwer bespuckt und der Junge muß es schlucken. Damit ist der Junge straffällig, wenn er stiehlt, was durch Spuckhauchmedizin geschützt ist. Das Huhn wird dann von der ganzen Gruppe im Gemeinschaftsmahl verzehrt.
11 Das Klistieren ist eine häufige Übung. Die Vorstellung besagt, daß durch Speisen, aber auch magische Handlungen schädliche Stoffe sich im Darm festsetzen, die beseitigt werden müssen. Je dunkler der Abgang ist, desto nötiger war das Klistieren, und geht gar Blut mit ab, so zeigt das seine gründliche Wirkung. Deshalb ist keine Heilmedizin und kein magisches Mittel, das dem mbeu a nyolo, dem körperlichen Gefahrenzustand entgegenwirken soll, ohne Klistier. Ja, auch der Gesunde läßt sich in regelmäßigen Abständen klistieren.
12 E’bale (Bakosi) eine dreiästige Astgabel; mit dem dickeren Ende nach oben ist der primitive Stuhl, an den man sich auf der Erde sitzend lehnt. Er hat wohl auch phallische Bedeutung, vgl. S. 130. Für Frauen ist er tabu; sie benützen ebongo „den querliegenden Block, Stock“ als Schemel.
13 Das Sterben auf der e’bale ist zwar nur Schein, aber für den Primitiven doch ein mit Angst und Furcht erlebter Durchgang, denn keiner begibt sich ohne Schrecken in solch unmittelbare Berührung mit dem übersinnlichen Gebiet.
14 Es ist keine Frage, daß früher die meisten Stämme stärker waren als heute; und es ist allgemeine Volksmeinung, daß man viele frühere, die Geschlechtsfreiheit und Polygamie hemmenden Bestimmungen hat fallen lassen in der Meinung, dadurch die Volkszahl heben zu können.\\21
15 Esongo, be- „Blattrichter“ zusammengebogen aus einem größeren Blatt. Darin drückt man allerlei Machtmittel-Kräuter aus, um sie irgendwohin zu tropfen. Zu jedem Zauber gehört der esongo.
16 An verschiedenen Stellen drückt das Märchen die im Volk lebende Überzeugung aus, daß das Wild die Haustiere der „Schatten“ sind, vgl. auch S. ---.
17 Auf diese Weise sperrt man auch im öffentlichen Leben einen Weg, besonders auch einer, der Nachkommen auf der Reise zeigen will, wohin er an einem Scheideweg nicht gegangen ist.
18 Sprichwort, wörtlich: Kwed’ a mun’ a mome nye nde bunya bo „Der Tod eines Mannes ist an einem Tag“, vgl. 1. Sam 15, 32.
19 Wie die Lebendigen den Totengeruch nicht leiden mögen, so die „Schatten“ nicht den Geruch der Lebenden.
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